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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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erklärte der, der vor ihr kauerte. Erst jetzt fiel ihr der fremde Akzent auf, mit dem er sprach.
    »Das sehe ich auch, Bruder«, knurrte der andere, während er eintrat und sich umblickte. »Wo ist die Seherin?«
    »Hier ist sonst niemand.«
    »Wo ist die Seherin?« Die Stimme des anderen überschlug sich, als er die Frage wiederholte. Mit einer unwirschen Bewegung riss er sich den Kinnschutz vom Gesicht. Zornverzerrte, bärtige Züge kamen darunter zum Vorschein. »Wo ist das Weib, nach dem wir monatelang gesucht, dessentwegen wir jeden elenden Stein in dieser Ödnis umgedreht haben?«
    »Sie ist nicht hier, Mercadier. Offenbar war sie gewarnt und ist geflohen.«
    »Verdammt!« In einem jähen Wutausbruch hob der andere Ritter das Schwert. Schützend riss sie die Hände über den Kopf, weil sie fürchtete, er würde auf sie einschlagen – doch der Hieb, der mit vernichtender Wucht niederfuhr, galt einem Schemel, den der Ritter in seinem ohnmächtigen Zorn kurzerhand spaltete. Die Bruchstücke fegte er mit einem wütenden Tritt davon. »Vergeblich! Die lange Suche! Die Opfer, die wir gebracht haben. Alles vergeblich!« Erneut holte er mit dem Schwert aus und schien kurz davor, in noch wildere Raserei zu verfallen – als er plötzlich innehielt.
    Verblüfft betrachtete er die zerstörte Tür und den Tisch, der unter ihr zu Bruch gegangen war, und wandte sich dann zu seinem Kameraden um. »Die Tür war verbarrikadiert?«
    »Ja.«
    »Folglich sollte geschützt werden, was sich hinter ihr verbarg.« Ein listiges Lächeln huschte über die Züge des Mannes, der Mercadier hieß. »Womöglich sind wir unserem Ziel näher, als wir denken.«
    »Was meinst du?«
    »Das alles ergibt keinen Sinn. Dieser Mönch und die Leute aus dem Dorf hatten uns erwartet. Sie kannten unsere Absicht und waren entschlossen, uns aufzuhalten unter Einsatz ihres Lebens. Und das hätten diese Narren sicher nicht getan, wenn sich die fragliche Person nicht in unmittelbarer Nähe befunden hätte.«
    »Du meinst …«
    »Natürlich, Kathan.« Mercadier wandte sich ihr zu, aus seinem Lächeln wurde ein breites Grinsen, während er mit der Schwertspitze auf sie deutete. » Sie ist die Seherin.«
    »Das Mädchen?«
    »Willst du behaupten, der Gedanke wäre dir nicht auch schon gekommen? Niemand hat je gesagt, wie alt diejenige ist, nach der wir suchen. Sie könnte es also sehr wohl sein.«
    »Mercadier, ich …«
    Kathan kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn erneut verdunkelte sich der Eingang, und ein dritter Kämpe trat ein.
    Sie erschrak.
    Die anderen beiden Ritter waren Raubtiere in Menschengestalt – bei diesem verhielt es sich umgekehrt.
    Blutspritzer übersäten ein rotes, von einer grässlichen Narbe entstelltes, spitzes Gesicht mit lodernden Augen. Gekleidet war er wie die beiden anderen, und auch auf seiner Schulter prangte das Kreuzsymbol. Dennoch war da etwas, das ihn von den beiden anderen unterschied, eine Getriebenheit, die tatsächlich etwas von einem Wolf hatte.
    »Sieh an«, krächzte er, wobei sich die Narbe an seinem Kinn dehnte und sein Grinsen auf grausige Weise nachäffte, »wen haben wir denn da?«
    »Das ist sie«, stellte Mercadier fest.
    »Das da?« Der Wölfische legte den Kopf schief und taxierte sie mit seinem lodernden Blick. »Sag, Mädchen«, fragte er dann, »verfügst du über die Gabe, in die Zukunft zu sehen?«
    Statt zu antworten, kniff sie die Lippen zusammen und starrte auf den strohbedeckten Boden.
    »Willst du nicht antworten, oder kannst du es nicht? Soll ich deine Zunge lösen?« Der Ritter mit der Narbe wollte vortreten, aber Mercadier hielt ihn zurück.
    »Lass gut sein, Gaumardas. Soweit es uns betrifft, haben wir gefunden, wonach wir suchen.«
    »Was soll das bedeuten?«, fragte Kathan.
    »Sehr einfach – dass wir sie mitnehmen und nach Metz bringen werden. So wie es unser Auftrag war. Ist sie diejenige, die wir finden sollten, umso besser. Ist sie es nicht, so wird man es erst bemerken, wenn wir uns längst auf dem Weg nach Hause befinden.«
    »Fürwahr ein guter Vorschlag.« Gaumardas kicherte.
    »Brüder«, wandte Kathan ein und erhob sich, »ihr könnt nicht …«
    »Willst du widersprechen, Kathan? Soll die ganze Schlächterei dort draußen umsonst gewesen sein? Gaumardas – bring sie nach draußen.«
    »Mit Vergnügen, Bruder.«
    Sie sah den Wölfischen auf sich zukommen. Zitternd raffte sie sich auf die Beine und wollte davonrennen, doch die eisenbewehrten Pranken des Ritters packten sie

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