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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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der anderen Hand, und sorgte dafür, dass es weder Überlebende noch verräterische Spuren gab. Hass und Blutgier verzerrten seine Züge derart, dass Kathan vor ihm erschauderte.
    Er wollte die grob gezimmerte Tür der Hütte öffnen, doch sie schien von innen verbarrikadiert zu sein. Mit dem ganzen Gewicht seines Körpers warf sich Kathan dagegen, worauf das Türblatt aus den Angeln brach. Was auch immer dahinter in Stellung gebracht worden war, ging knirschend zu Bruch, und begleitet von einer Wolke aus Staub und Rauch, die im einfallenden Tageslicht milchig leuchtete, platzte Kathan ins Innere der schäbigen Behausung.
    Für den Fall, dass er auf Gegenwehr traf, hatte er das Schwert erhoben, aber er sah sogleich, dass er es nicht brauchen würde. Im einfallenden Licht machte er eine kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt aus, die am Boden kauerte, die dünnen Arme um die eng herangezogenen Beine geschlungen.
    Es war ein Kind, ein Mädchen von vielleicht acht Jahren. Wirres rotblondes Haar umrahmte ein fein geschnittenes, rußgeschwärztes Gesichtchen, aus dem Kathan ein großes wachsames Augenpaar anstarrte. Der Templer hatte seine Überraschung noch nicht verwunden, als das Mädchen ihn ansprach.
    »Die Wölfe«, sagte es leise. »Sie sind hier.«
    Sie zitterte am ganzen Körper.
    Durch die dünnen Wände und die verbarrikadierte Tür hatte sie mitbekommen, was draußen vor sich ging, hatte Wiehern und den Hufschlag von Pferden gehört, entsetzte Schreie und das Fauchen von Feuer. Doch sie hatte sich die ganze Zeit über nicht vom Fleck bewegt, genau wie Pater Edwin es ihr gesagt hatte.
    Seiner Weisung folgend, hatte sie den kleinen Tisch vor die Tür geschoben, nachdem er das Haus verlassen hatte, und sich dann auf den Boden gekauert. Dort hatte sie ausgeharrt, am ganzen Körper zitternd, und verzweifelt gebetet – vergeblich, wie es schien.
    Die Wölfe waren gekommen, genau wie sie es in ihrem Traum gesehen hatte. Und genau wie in ihrem Traum kannten sie keine Gnade. Dennoch war nicht alles gleich.
    Der Mann, der in der offenen Tür stand und dessen Silhouette sich dunkel und scharf gegen das blendend helle Tageslicht abzeichnete, war kein Wolf – es war ein Ritter. Ein Schwert lag in seiner Rechten, dunkler Rauch bauschte sich hinter ihm wie die Schwingen eines Drachen.
    Entsetzt wich sie noch weiter zurück, presste sich eng an die kalte Wand der Hütte, doch der Ritter kam unaufhaltsam auf sie zu.
    Als ihn der Lichtschein ganz erfasste, sah sie, dass seine Klinge blutbesudelt war, Reste von Stoff und Haaren klebten daran. Ein entsetzter Schrei fuhr aus ihrer Kehle, und sie wollte aufspringen und fliehen, aber ihre Beine waren zu weich, um ihr zu gehorchen. So blieb ihr nichts, als leise zu wimmern und auf den gepanzerten Hünen zu starren, während ihr das kleine Herz bis zum Hals schlug.
    »Bist du die, nach der wir suchen?«
    Gedämpft drang die Stimme des Ritters durch das metallene Geflecht, das beinahe sein ganzes Gesicht bedeckte. Nur die Augen waren zu sehen: eisblaue Augen, die prüfend auf sie starrten.
    Augen, wie der Wolf aus ihrem Traum sie gehabt hatte.
    Sie winselte wie ein junges Tier, als sich der Ritter zu ihr herabbeugte. Die blutige Klinge rammte er in den Boden und ließ sich auf ein Knie nieder. Ihr Blick fiel auf das Kreuz, das der Ritter auf seinem von Blut und Ruß beschmutzten Umhang trug, ein Kreuz, wie Pater Edwin es stets zu tragen pflegte, das Zeichen des Erlösers!
    Der Ritter löste das Kettengeflecht über seiner unteren Gesichtshälfte. Ein bärtiges, kantiges Gesicht kam zum Vorschein, das reglos war und wie aus Stein gemeißelt. Lediglich in den Augen war Leben, auch wenn sie wie aus einem tiefen Abgrund blickten.
    »Schhh«, machte er. »Hab keine Angst, hörst du?«
    Seine Stimme war heiser und belegt, sodass er nicht mehr als ein Krächzen zustande brachte, dennoch beruhigte sie sich ein wenig.
    »Wie heißt du? Hast du einen Namen?«
    Sie wollte antworten, aber sie konnte nicht. Die Stimme versagte ihr, Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie musste an Pater Edwin denken, an ihre Familie und die anderen Menschen des Dorfes. Wo waren sie? Was war mit ihnen geschehen?
    »Nun, Kathan? Etwas gefunden?«
    Ein zweiter Schatten tauchte in der Türöffnung auf: ein weiterer Ritter, gekleidet und gepanzert wie der erste, jedoch kräftig und gedrungen. Als sein Blick auf sie fiel, gab er ein verächtliches Schnauben von sich. »Was ist das?«, wollte er wissen.
    »Ein Mädchen«,

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