Das verschollene Reich
beweisen. Hätte sich die Feder im Zuge meiner Untersuchung nämlich als Fälschung erwiesen …«
»… so hättet Ihr gewusst, dass man uns zu täuschen versucht«, brachte Rowan den Satz zu Ende. Mit Nachlassen der Blutung schien auch sein Verstand allmählich wieder in Gang zu kommen. »Nun jedoch werden wir nicht mehr erfahren, was es mit der Feder auf sich hat.«
»Nein«, räumte Cuthbert ein, um dessen faltige Züge bereits wieder das spitzbübische Lächeln spielte. »Dafür haben wir etwas anderes in Erfahrung gebracht – nämlich dass uns jemand ganz offenbar daran hindern will, die Wahrheit herauszufinden. Das ist ein Faktum, das sich nicht bestreiten lässt. Und das, mein Junge, weckt meine Neugier noch ungleich mehr als Träume von fernen Reichen und Palästen.«
Rowan war sich nicht sicher, ob er die Entschlossenheit im Blick seines Meisters richtig deutete. Zweifelnd sah er ihn an. »Soll … soll das etwa heißen …?«
»Ich werde Sibyllas Angebot annehmen«, verkündete Cuthbert mit einem Klang in der Stimme, der sich wie ausgemachter Trotz anhörte und weder einem Ordensbruder noch einem Mann seines Alters besonders angemessen schien.
»A-aber gestern sagtet Ihr doch noch, dass Ihr nicht …«
»Was ist des Menschen höchstes Gut, mein Junge?«, fragte Cuthbert unvermittelt.
»Des Menschen höchstes Gut?« Die Frage traf Rowan unerwartet, entsprechend ratlos war er. »Zufriedenheit?«, riet er schließlich.
»Du bist ein Einfaltspinsel! Zufriedenheit macht einen fetten Wanst, nichts weiter. Die Freiheit des Geistes hingegen erhebt uns über den bloßen Körper und unterscheidet uns von den Tieren. Dies ist unser höchstes Gut: unsere Fähigkeit, uns im Licht von Gottes Wahrheit eine eigene Meinung zu bilden. Und genau das versucht man uns zu nehmen, indem man uns bestiehlt, uns zu beeinflussen und zu Figuren in einem Ränkespiel zu machen sucht.«
»Wer?«, fragte Rowan verblüfft. »Denkt Ihr, dass Prinzessin Isabela …?«
»Wer weiß? Schließlich will sie nicht, dass wir dem Wunsch ihrer Schwester nachkommen. Andererseits könnte auch die Königin selbst hinter dem Diebstahl stecken. Möglicherweise wusste sie, dass ich bei der näheren Untersuchung der Feder etwas finden könnte, das mich von der Reise abhalten würde. Hätte sie sich jedoch geweigert, mir die Feder zu geben, hätte ich sogleich Verdacht geschöpft.«
»Hm«, machte Rowan, dem der Kopf schwirrte – nicht nur von dem Tritt, den er eingesteckt hatte, sondern auch vom Netz der Intrigen, das sich rings um sie zu spinnen schien.
»Oder aber«, führte sein Meister unbarmherzig eine dritte Möglichkeit ins Feld, »es gibt noch weitere Parteien, die ohne unser Wissen an diesem Spiel teilnehmen. Herausfinden werden wir dies nur, indem wir uns ebenfalls darauf einlassen. Deshalb werde ich auf die Bitte der Königin eingehen und mich auf die Suche begeben. Doch es wird nicht in erster Linie das Reich des Priesterkönigs sein, dem meine Aufmerksamkeit gilt.«
»Nein?« Rowan hob die Brauen. »Was dann, Meister?«
Ein freudloses Lächeln huschte über die Züge des alten Mönchs. »Die Wahrheit, Junge«, entgegnete er nur. »Denn wie steht es im Zweiten Korintherbrief geschrieben? ›Wir vermögen nichts wider die Wahrheit, sondern nur für sie.‹«
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17
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»Denn während wir um unsere menschliche Natur wissen,
hält dich deine Herde für einen Gott,
obschon wir wissen, dass du ein Sterblicher
und damit der menschlichen Verderbnis unterworfen bist.«
Brief des Johannes Presbyter, 15 – 18
Königspalast von Jerusalem
Zur selben Zeit
»Sie hat Angst. Daran besteht nicht der geringste Zweifel!«
Bäuchlings auf den Kissen liegend, das runde Kinn auf die übereinandergetürmten Fäuste gestützt, wirkte Isabela von Jerusalem wie ein schmollendes Kind. Die Tatsache, dass sie nackt war und ihre makellose Haut unverhüllt zur Schau stellte, relativierte diesen Eindruck jedoch auf befremdliche Weise.
»Natürlich hat sie Angst, warum auch nicht?« Humphrey von Toron lag neben ihr, ein dünnes Laken aus Seide über den sehnigen Körper gebreitet. Der Blick seines dunklen Augenpaars ruhte sanft auf ihr, die Wölbung der Brauen hatte etwas Flehendes. »Du solltest es ihr nachsehen, Isabela. Auf ihren Schultern ruht eine große Bürde.«
»Und wenn – ich habe sie nicht darum gebeten, diese Bürde zu übernehmen. Sie selbst hat es so gewollt. In ihrer Ichsucht hat sie den Adel gegen sich aufgebracht und damit die
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