Das verschollene Reich
angegriffen wurde und deine Mutter eine Nachricht an Saladin sandte?«
Humphrey nickte. »Sie bat ihn, uns nicht zu stören, worauf er den Turm, in dem sich unser Gemach befand, verschonte.«
»Den Ausgleich mit den Sarazenen zu suchen ist kein Fehler«, bekräftigte Isabela. »Auch mein Vater hat es getan, ehe falsche Berater ihm etwas anderes einredeten.«
»Dennoch, Isabela: Raymond ist nicht zu trauen. Bei allem, was er tut, verfolgt er stets seine eigenen Pläne, und niemand von uns weiß, was er damit bezweckt.« Er richtete sich ebenfalls im Bett auf. »Bitte versprich mir, dich nicht an ihn um Hilfe zu wenden. Der Preis, den wir dafür zu bezahlen hätten, wäre in jedem Fall zu hoch. Willst du mir das versprechen?« Er fasste sie bei den Oberarmen und schüttelte sie, als könnte er sie auf diese Weise zur Vernunft bringen – dabei war unübersehbar, dass ihre wippende Brust seine Aufmerksamkeit erregte.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte Isabela unverblümt. »All das«, sagte sie lächelnd, wobei sie sich vollends aufrichtete und sich in ihrer ganzen unverhüllten Schönheit präsentierte, »gehört dir, mein Gemahl. Alles, was ich dafür von dir erbitte, ist deine Loyalität.«
»Ich … sie gehört dir«, versicherte Humphrey fast ein wenig hilflos, während sie sich herabbeugte, das Laken mit den Zähnen erfasste und es langsam an ihm herabzog.
»Ich weiß«, flüsterte sie.
Dann tat sie das, von dem sie wusste, dass es seinen Widerspruch im Keim ersticken und ihn zu einem willfährigen Werkzeug machen würde.
Später in der Nacht erhob sich Isabela von ihrem Lager, küsste ihren schlafenden Gatten auf die Stirn und bedachte ihn mit einem nachsichtigen Blick. Dann verließ sie das Bett, zog ihr Untergewand über und schlich zum Tisch, wo Pergament und Schreibzeug bereitlagen.
Sie setzte sich, tauchte die Feder in die Tinte und begann den Brief aufzusetzen, dessen Wortlaut sie sich schon in allen Einzelheiten zurechtgelegt hatte.
Einen Brief an den Grafen von Tripolis.
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18
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»Solltest du begehren, die Größe und Erhabenheit unserer Hoheit sowie die Lande, über die unser Zepter gebietet, zu erfahren, so höre aufmerksam zu und glaube zuversichtlich.«
Brief des Johannes Presbyter, 32 – 34
Fürstentum Transjordanien
28. Januar 1187
Sie hatten Jerusalem durch das Tor von Sankt Stephan verlassen.
Nachdem Meister Cuthbert die Königin darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass er ihren Auftrag annehmen wollte, war alles rasch vonstattengegangen. Die Vorbereitung der Expedition hatte nur wenig Zeit in Anspruch genommen, denn zum einen schien der alte Mönch genau zu wissen, was auf einer so langen und womöglich entbehrungsreichen Reise benötigt wurde, zum anderen sorgte Königin Sibyllas Weisung dafür, dass er augenblicklich bekam, was er verlangte.
Dazu gehörten neben Wasser, Proviant, leichten Zelten und anderer Ausrüstung auch sieben Kamele, die nicht nur die vier Teilnehmer der Expedition, sondern auch deren Gepäck zuverlässig über weite Strecken hinweg tragen würden. Mit einem geübten Auge, das Rowan verriet, dass sich sein Meister nicht zum ersten Mal auf Reisen begab, wählte Cuthbert die Tiere aus der königlichen Stallung aus, dazu Zaumzeug und Sättel. Ihre Kleidung hatten die beiden Mönche gegen die weite Tunika und den Mantel der Orientalen getauscht. Um die Häupter hatten sie das an den Enden beschwerte Tuch der Wüstenbewohner geschlungen – einerseits, um sich vor Sonne und Wind zu schützen, andererseits, um die verräterische Tonsur zu verbergen, denn jenseits der unsichtbaren Grenze, die den von Christen besiedelten Landstrich von der weiten Wüste Syriens trennte, begann Saladins Machtbereich. Ihn mussten die Mönche durchqueren, wenn sie das Reich des Priesterkönigs finden wollten.
Es war das erste Mal, dass Rowan auf einem Kamel ritt. Die Ordensregeln sahen vor, dass ein Mönch, wenn überhaupt, nur auf einem Esel ritt, so wie es der Herr beim Einzug in Jerusalem getan hatte. Pferde oder gar Kamele galten als Zeichen von Unbescheidenheit. Entsprechend ungeübt war Rowan als Reiter, und wenn er auch in seiner frühen Jugend ab und an auf einem Maultier gesessen hatte, war es doch etwas gänzlich anderes, auf dem Höcker eines Dromedars zu thronen, das beinahe doppelt so hoch war und bei jedem Tritt bedenklich schwankte.
Ganz im Gegensatz dazu saß Bruder Cuthbert wohl nicht zum ersten Mal auf einem Kamel. Mit dem gleichen Geschick, mit dem
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