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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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de Ridefort, der Großmeister des Templerordens, das Wort. Zusammen mit ihrem Gemahl und Raynald de Chatillon gehörte er zum engen Kreis derer, die von Bruder Cuthberts geheimer Mission und von der Suche nach dem Reich Johannis wussten. »In diesen schweren Stunden müssen wir zusammenstehen und unseren Zwist begraben, um als ein Mann aufzustehen und gegen Saladin zu kämpfen!«
    Zustimmung wurde geäußert, und Sibylla wünschte sich inständig, es wäre ihr Gemahl gewesen, aus dessen Mund derart mitreißende Worte kamen. Guy jedoch begnügte sich damit, zustimmend zu nicken.
    »Deshalb, meine Waffenbrüder und Freunde«, fuhr Gérard in seiner Ansprache fort, »ersuche ich Euch, hier und jetzt vor unserem König Eure Loyalität zu erklären und Euren Treueid zu erneuern. Nicht länger dürfen Zwist und Zweifel uns entzweien, wenn unsere Einheit so dringend verlangt ist. Als des Königs Wortführer frage ich Euch deshalb: Darf
Jerusalem in diesen Tagen der Prüfung auf Eurer Schwert rechnen?«
    »Jetzt und für immer!«, rief Raynald de Chatillon ohne Zögern. Er zog seine Klinge und hob sie zum Gruß, und einige der Adligen, die ihm nahestanden, taten es ihm gleich.
    »Wie steht es mit Euch, Balian?«
    Einen quälenden Augenblick lang, der Sibylla wie eine Ewigkeit erschien, stand der Herr von Ibelin unentschlossen. »Ich billige nicht den Anlass des Krieges noch Euer Verhalten, Chatillon«, sagte er endlich. »Aber wenn der Boden, den wir seit Generationen unsere Heimat nennen, bedroht wird, dann werde auch ich mich meiner Pflicht nicht entziehen.« Auch er zog sein Schwert und huldigte dem König – und dies war das Signal, auf das viele der Edlen gewartet zu haben schienen.
    Als wäre der Widerstand plötzlich gebrochen, erneuerte auch Raynald von Sidon seinen Treueschwur und nach ihm viele andere, von denen Sibylla bislang nicht gewusst hatte, ob sie auf der Seite des Hofes standen oder in Wahrheit für Raymond von Tripolis waren. Einer nach dem anderen bezeugte seine Zugehörigkeit zur Krone, und zum ersten Mal nach vielen Tagen und Nächten der Sorge verspürte Sibylla ein wenig Erleichterung.
    Schließlich hatten alle der Anwesenden ihre Treue bezeugt – bis auf einen. »Und was ist mit Euch, Humphrey?«, wollte Guy wissen.
    Sibyllas Schwager erschrak sichtlich, als er angesprochen wurde. Während der gesamten Versammlung hatte er sich auffallend im Hintergrund gehalten und nicht am Wortwechsel der Edlen beteiligt.
    »Wollt nicht auch Ihr den König Eurer Loyalität versichern?«, hakte Gérard de Ridefort nach.
    Die sanften Züge des Grafen von Toron verkrampften sich, als sich aller Aufmerksamkeit auf ihn richtete. »Ihr wisst, dass ich Euch gegenüber stets loyal gewesen bin, mein König«, sagte er schließlich mit einer Stimme, die bebend und unsicher klang. »Allerdings frage ich mich, was wir in diesem bevorstehenden Krieg gewinnen können. Sollten wir nicht viel eher nach einer Möglichkeit des Ausgleichs suchen?«
    »Glaubt Ihr denn, das wäre jetzt noch möglich?«, fragte Gérard dagegen. »Saladin kommt nicht hierher, weil er Ausgleich will oder sich mit einer Geldzahlung beschwichtigen ließe. Er will Rache für das, was Eure Vorfahren seinen Glaubensbrüdern angetan haben. Und er will Jerusalem.«
    Humphrey nickte bedächtig. Für Sibylla war offenkundig, dass er einen inneren Kampf austrug, und sie glaubte zu ahnen, wer die treibende Kraft hinter diesem Konflikt war.
    Verstohlen blickte sie zu der Balustrade hinauf, die die Halle unterhalb der hohen Decke umlief. Isabela stand dort oben. Da sie kein Mitglied des Adelsrates war, durfte sie an der Versammlung nicht teilnehmen, verfolgte jedoch gebannt deren Fortgang. Und vermutlich versuchte sie, aus der Ferne auf ihren Ehemann einzuwirken.
    Unter dem enormen Druck, der auf ihm lasten musste, ließ Humphrey die Schultern sinken. Sein fragender, fast hilfloser Blick ging in Richtung Balians, der jedoch nur den Kopf schüttelte. »Ich fürchte, Gérard hat recht, mein Freund«, stimmte er dem Großmeister der Templer zu.
    »Ich verstehe.« Humphrey nickte bedächtig, um sich dann zu einem letzten, fast ein wenig verzweifelt wirkenden Widerspruch aufzuraffen. »Aber – habt Ihr Euch je gefragt, ob wir den Krieg gegen Saladin gewinnen können? Oder ob wir das Königreich, das unsere Vorväter errichtet haben, damit zum Untergang verdammen?«
    »Glaubt Ihr denn, wir hätten die Wahl?« Guy war aufgesprungen und ballte die Faust. Beruhigt nahm

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