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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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orientalischen Maßstäben zwar einfach war, an Annehmlichkeit jedoch alles übertraf, was Rowan aus englischen und fränkischen Herbergen kannte. Nicht nur, dass die Kammer sauber war und es eine Schüssel mit Wasser gab, um sich zu waschen; die Lager wurden auch jeden Tag mit frischer Wäsche bezogen, was für den jungen Mönch mindestens ebenso verwunderlich war wie der Traum, den er gehabt hatte.
    Noch immer aufgewühlt von den Bildern und Eindrücken, die ihn im Schlaf überkommen hatten, setzte er sich auf. Cuthbert, der im Bett nebenan lag, schlief tief und fest.
    Dem Stand des Mondes nach zu urteilen, mochte es um Laudes sein. Cuthbert hatte entschieden, dass sie die nächtlichen Lobpreisungen nicht abhalten würden, um ihre Kräfte für den Tag zu schonen. Der über viele Jahre eingeübte Rhythmus sorgte jedoch dafür, dass Rowan dennoch oft in der Nacht erwachte und angesichts der vielen Gedanken, die ihm im Kopf herumgingen, nicht wieder einschlafen konnte. Die Eindrücke der Reise, die aufregenden Dinge, die er tagsüber sah, die Gesellschaft seines neuen Meisters, all das beschäftigte ihn des Nachts und vermischte sich in seinen Träumen mit der Vergangenheit.
    Rowan schüttelte sich. Obwohl es nicht wirklich ein Albtraum gewesen war, hatte er einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Er erhob sich, um einen Schluck zu trinken. Der bittere Geschmack jedoch blieb, und Rowan beschloss, nach draußen zu gehen, um ein wenig frische Luft zu atmen. Von der Tür ihrer Kammer zu der Leiter, die hinauf zum Dachgarten führte, waren es nur wenige Schritte. Schon kurz darauf stand Rowan auf dem Dach der Karawanserei, umgeben von den sich endlos aneinanderschmiegenden Dünen der Wüste und einem gewaltigen Sternenhimmel, der sich funkelnd darüber spannte.
    Vor zwei Tagen hatten sie Palmyra verlassen. Dank der Vermittlung von Farid hatten sie sich tatsächlich einer Karawane anschließen können, die auf dem Weg nach Bagdad war, und als Gegenleistung für ein hübsches Sümmchen Geld hatte der karwan bashî ihnen zugesagt, keine Fragen zu stellen. Im Schutz des Zuges, dem mehr als vierhundert Reit- und Packtiere angehörten, darunter große, zweihöckrige Kamele, würden die Gefährten die Wüste durchqueren. Und auch wenn er sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als es offen zuzugeben, war Rowan insgeheim froh darüber, denn obschon er oft von der großen Ödnis gehört hatte, hätte er sie sich niemals so weit und ehrfurchtgebietend vorgestellt.
    Auch jetzt bei Nacht, da sich die Dünen im blauen Licht des Mondes als ein endlos scheinendes Meer erstarrter Wellen zeigten, faszinierte ihn die Andersartigkeit dieser fremden Welt. Man hatte ihn dazu erzogen, die Araber und Beduinen, die diesen unwirtlichen Landstrich bewohnten, zu verachten, da sie doch den falschen Glauben hatten und einem falschen Propheten folgten. Doch Rowan kam nicht umhin, sie dafür zu bewundern, dass sie inmitten dieser so feindseligen Natur zu überleben vermochten. Vielleicht, sagte er sich, war es das, was Bruder Cuthbert gemeint hatte, als er vom gegenseitigen Lernen der Völker gesprochen hatte.
    Aus dem Augenwinkel nahm Rowan plötzlich eine Bewegung wahr, draußen zwischen den Dünen. Unwillkürlich ging er hinter der niederen, mit dreieckigen Zinnen versehenen Brüstung in Deckung, während er gebannt in das blaue Halbdunkel spähte – und tatsächlich jemanden entdeckte.
    Es war ein Reiter, ein vermummter Kämpe, der auf einem pechschwarzen Araberhengst ein Dünental durchquerte. Auch die Rüstung und das Banner des Ritters waren von tiefster Schwärze, so als ob sie das Mondlicht zu schlucken schienen – und im nächsten Moment war er so plötzlich, wie er aufgetaucht war, wieder verschwunden. War Rowan einer Täuschung erlegen? Hatte ihn eines seiner Traumbilder bis hierher verfolgt? Oder trug Farids unablässiges Gerede von verbotenen Territorien und dunklen Flüchen bereits Früchte?
    Prüfend starrte Rowan auf die Dünen, zwischen denen der schwarze Ritter verschwunden war, aber sosehr er sich auch bemühte, etwas zu entdecken – der geheimnisvolle Reiter kehrte nicht zurück.
    Dafür hörte Rowan plötzlich ein Geräusch, das ihn erschrocken herumfahren ließ.
    Verblüfft nahm er wahr, dass er nicht allein auf dem Dach der Karawanserei war; gut zwanzig Schritte von ihm entfernt kauerte noch eine weitere Gestalt im Schutz der Zinnen, verharrte jedoch so reglos, dass Rowan nicht zu sagen vermochte, wie lange schon.
    Ein

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