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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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und sich zu ihnen gesellte.
    »Ja, sayidî ?«
    »Ich habe mich entschieden. Sag dem Karawanenführer, dass wir den Zug verlassen und den Fluss bei der nächsten Furt überqueren werden.«
    »Farid ihm sagen«, bestätigte der Führer, dessen Dromedar unruhig schnaubte, »aber nicht gut. Das nicht gut!«
    »Was ist nicht gut?«, wollte Rowan wissen.
    »Nicht weit von hier auch sayidî Philippus Straße verlassen, um Fluss zu überqueren«, erklärte Farid mit bekümmerter Miene, »und alle wissen, was geschehen.«
    Einen Augenblick lang schien es, als zögere Bruder Cuthbert. »Sag es dem Karawanenführer«, verlangte er dann.
    »Ja, sayidî .«
    Farid hob die Gerte und trieb sein Dromedar zur Spitze des Zuges, wo der karwan bashî ritt. Angespannt blickte Rowan ihm hinterher. Zwar hielt er nichts von Farids Gerede und wollte die Expedition unbedingt fortsetzen, jedoch beschlich ihn in diesem Augenblick ein seltsames Gefühl.
    Es war die unbestimmte Ahnung, beobachtet zu werden.
    Von einem flachen Hügelrücken aus beobachtete eine in die Farbe der Nacht gehüllte Gestalt, wie sich vier Reiter und drei Packtiere aus der Kolonne der Karawane lösten und in Richtung Furt abdrehten.
    Er sah ihnen zu.
    Abwartend.
    Lauernd.
    Als sie den Euphrat endlich überquert hatten, wollte er seinen Beobachtungsposten aufgeben und wieder auf den Rücken des schwarzen Araberhengstes steigen, den er im Schatten einer Akazie angebunden hatte. Da sah er, wie eine weitere Gruppe von Reitern die Karawane verließ und der ersten Gruppe folgte.
    Also doch, dachte er.
    Die Aasfresser hatten Witterung aufgenommen.

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5
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    »Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht. Bin ich denn meines Bruders Hüter? Der Herr aber sprach: Was hast du getan? Höre, das Blut deines Bruders schreit zu mir empor vom Ackerland!«
    Genesis 4, 9 – 10
    Komturei von Metz
2. Dezember 1173
    Der Rest der Reise war in nahezu völligem Schweigen verlaufen.
    Das Mädchen hatte kein Wort mehr gesagt.
    Was Gaumardas ihr angetan hatte, konnte Kathan nur vermuten. Auch der sonst nicht um Worte verlegene Mercadier hatte geschwiegen, seit sie die Lichtung verlassen hatten – und das war schlimmer, als hätte er Kathan laute Vorhaltungen gemacht.
    Da der Boden gefroren war und ihnen das entsprechende Werkzeug fehlte, hatten sie Gaumardas unter einem Haufen von Steinen beigesetzt. Mercadier hatte zudem ein behelfsmäßiges Kreuz über seinem Grab errichtet, das nur aus zwei zusammengebundenen Ästen bestand.Kathan war sich nicht sicher, ob Gaumardas selbst ein solches Provisorium verdient hatte. Das Grab war namenlos geblieben, gemäß dem Psalm, der den Wahlspruch des Ordens stellte: »Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib den Ruhm.«
    Nachdem sie bei einem Bauern genächtigt hatten, hatten sie ihren Ritt am frühen Morgen fortgesetzt, das Mädchen nunmehr mit einem eigenen Pferd, auf dem es sitzen konnte. Und unaufhaltsam hatten sie sich der Komturei von Metz genähert, dem Ziel ihrer Reise, nach dem sie sich die ganze Zeit über so sehr gesehnt hatten. Nun jedoch wäre es Kathan lieber gewesen, sie würden es nie erreichen. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich im Dienst der Bruderschaft zu bewähren, waren sie nach Frankreich gekommen – Kathan jedoch hatte nichts zurückgewonnen, sondern alles verloren.
    Ihm war klar, was ihn in Metz erwartete. Seine Hand gegen einen Waffenbruder zu erheben war ein schweres Vergehen, das mit der Aberkennung des habitus und mit wochenlanger Buße belegt wurde; einen Bruder gar zu töten war das schwerste Verbrechen, das ein Ordensmitglied begehen konnte. Es wurde nicht mit dem Tod geahndet, weil man das Heer des Herrn nicht durch eigenes Zutun dezimieren wollte, jedoch bedeutete es lebenslange Kerkerhaft. Kathan würde nicht ins Heilige Land zurückkehren, er würde die wärmende Sonne Palästinas nie wieder auf seiner Haut spüren, würde die heiligen Stätten niemals wieder betreten. Und vielleicht war das auch besser so.
    Als der Unrat zu beiden Seiten der Straße dichter wurde und jenseits der Bäume Rauchsäulen zu erkennen waren, da wusste Kathan, dass ihre Reise zu Ende war – und damit auch sein Dasein als Streiter Christi.
    Die Komturei von Metz lag außerhalb der Stadtmauern. Es war ein großzügig angelegtes Gehöft, das aus einem steinernen Herrenhaus sowie mehreren Nebengebäuden bestand, die die Unterkünfte der Knechte und Gäste, die Stallungen sowie die

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