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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verhandeln wollt?«
    Erneut mahlten Raymonds Kieferknochen, sein Blick war voller Selbstverachtung. »Ja«, flüsterte er.

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    »Hier wächst das Kraut Assidos; trägt jemand dessen Wurzel auf seinem Körper, so entgeht er dem bösen Geiste; zwingt ihn zu sagen, wer er sei, woher er komme und wie er heiße.«
    Brief des Johannes Presbyter, 100 – 102
    Ufer des Euphrat
21. März 1187
    Die Erkenntnis war ein Schock gewesen, und sie hatte Rowan hart getroffen. Im Eifer des Augenblicks und von der Sorge um Cassandra abgelenkt, war es ihm in jener Nacht in Abu Kemal gar nicht aufgefallen, dass sie sich in ihrer Not der französischen Sprache bedient hatte.
    Dies konnte nur zwei Dinge bedeuten.
    Entweder die französische Sprache gehörte zu jenem Teil ihrer Vergangenheit, an den sich die junge Frau nicht entsinnen konnte.
    Oder aber – und dieser Gedanke quälte Rowan seither – sie hatte ihnen die ganze Zeit über nur etwas vorgespielt.
    Natürlich hatte Bruder Cuthbert sie anderntags zur Rede gestellt, aber sie hatte behauptet, nichts davon zu wissen, und sosehr Rowans Meister auch in sie gedrungen und so listig er bei seiner Befragung vorgegangen war – es war ihm nicht gelungen, ihr auch nur ein weiteres französisches Wort zu entlocken. Die Sprache schien ihr tatsächlich fremd zu sein.
    Ein weiteres Rätsel hatte sich zu den vielen Geheimnissen gesellt, die die junge Frau umgaben, und Rowan hatte manche lange Tagesstunden damit zugebracht, die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen, während er im Sattel seines Kamels saß und der Karawane folgte.
    Von Abu Kemal aus war der Zug dem Lauf des Flusses gefolgt, der zunächst gen Osten verlief, um sich dann nach Süden in Richtung Bagdad zu wenden. Anders als während des langen Ritts durch die Wüste Syriens war das Land hier fruchtbar und grün, Getreidefelder und Palmenhaine säumten das Ufer. Doch die Idylle war trügerisch, denn der Zeitpunkt, da sich die Gefährten von der Karawane trennen und auf eigene Faust weiterziehen würden, stand unmittelbar bevor.
    Ihre Expedition stand am Scheideweg.
    In mehrfacher Hinsicht.
    Rowan ließ sein Reittier ein wenig zurückfallen, damit Bruder Cuthbert zu ihm aufschließen konnte. In den vergangenen Tagen war der Benediktiner noch stiller gewesen als sonst. Auch er schien ihre Lage sorgfältig abzuwägen, ohne dass er hätte durchblicken lassen, zu welchen Ergebnissen er gelangt war.
    »Darf ich Euch etwas fragen?«, erkundigte sich Rowan, während er sein Kamel neben das seines Meisters lenkte.
    Bruder Cuthbert seufzte hörbar. »Du willst wissen, wie ich mich entschieden habe«, vermutete er. »Wie unsere Reise weitergeht.«
    Rowan nickte.
    »Ginge es nach Farid«, fasste Cuthbert die Gedanken zusammen, die ihn die letzten Tage über beschäftigt hatten, »so würden wir auf der Stelle umkehren. Er ist überzeugt davon, dass das Land jenseits der beiden Ströme verflucht ist.«
    »Verflucht? Von wem?«
    »Wer weiß?« Cuthbert zuckte mit den Schultern. »Womöglich von den Göttern der alten Zeit. Oder den djinn der Wüste, an die Farid mit derselben Inbrunst glaubt wie an die Heiligen des Himmels. Was sich unser armenischer Freund tatsächlich vorstellt, weiß ich nicht, denn ich vermag nicht in seinen Kopf zu sehen. Aber ich sehe seine Furcht – und die, mein Junge, ist ein unbestreitbares Faktum.«
    »Und das wundert Euch?«, fragte Rowan. »Ich habe ihn von Anfang an für einen Hasenfuß gehalten.«
    »Ich weiß.« Cuthbert nickte. »Die Sache ist nur, dass er sich in jener Nacht in Abu Kemal nicht wie ein Hasenfuß verhalten hat. Er bestand darauf, mich zu begleiten, als ich die Herberge verließ, und war bereit, mich mit blanker Klinge zu verteidigen. Außerdem hat Farid viele Male die Wüste durchquert und dabei manche Entbehrung ertragen. Er gehört nicht zu der Sorte Mann, die sich leicht fürchtet oder einschüchtern lässt.«
    »Dennoch ist er damals umgekehrt«, beharrte Rowan.
    »Das ist er – aber womöglich nicht aus Feigheit, sondern weil er als Einziger bereit war, die Zeichen, die der Herr gesandt hatte, richtig zu deuten.«
    »Zeichen?« Rowan schaute seinen Meister verwundert an, aber von Cuthberts Gesicht war unter dem Tuch kaum etwas zu sehen. »Ich dachte, Ihr glaubt nicht an Zeichen?«
    »Warum denkst du das? Nur weil du nicht daran glaubst?«
    Rowan blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. »Nun«, wollte er sich verteidigen, »ich …«
    »Jeder von uns muss einen eigenen

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