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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Schuld daran!«
    »Doch nur, weil es uns aufgetragen wurde!«, verteidigte sich Mercadier. »Um unsere Unschuld zu beweisen!«
    »Also zerstören wir ein Leben, um unseres zurückzugewinnen?«, fragte Kathan. »Siehst du nicht, wie falsch das ist? Wenn wir die Existenz dieses Kindes zerstören müssen, um uns vor der Gemeinschaft zu rehabilitieren …«
    »Aber so lauten die Regeln.«
    »Dann stimmt etwas nicht mit den Regeln«, beharrte Kathan.
    »Vorsicht!« Mercadier war merklich blass geworden. Er trat einige Schritte zurück, als müsste er Distanz zwischen sich und seinen Mitbruder bringen. »Du wählst gefährliche Worte.«
    »Ich sage nur die Wahrheit. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Deine Wahrheit«, räumte Mercadier ein, »die Wahrheit des edlen Kathan! Bist du bereit, dafür alles zu opfern?«
    Kathan begnügte sich damit, seinen Waffenbruder mit einem grimmigen Blick zu bedenken, das war Antwort genug.
    »Bei meinem Bart, Gaumardas hatte recht«, stieß Mercadier hervor. »Das Mädchen hat dich tatsächlich verhext, du bist davon besessen! Wehre dich dagegen, Bruder! Verstehst du denn nicht, was hier vor sich geht?«
    »Doch«, versicherte Kathan, »ich verstehe durchaus.«
    »Und was willst du jetzt tun? Zu de Lacy gehen und ihm sagen, dass er das Balg in Ruhe lassen soll?« Es schien Mercadier alle Beherrschung zu kosten, nicht laut loszuschreien.
    Kathan musterte ihn von Kopf bis Fuß.
    »Du hast Angst«, stellte er fest.
    »Und warum auch nicht? Du bist von dem Mädchen besessen und merkst es noch nicht einmal! Gaumardas hat dein Wahn bereits das Leben gekostet, wirst du mich als Nächstes verraten? Ich warne dich, Kathan, treib es nicht zu weit mit deinem Mitgefühl! Das Kind ist so oder so verloren, wir hingegen können als Männer, deren Ehre wiederhergestellt ist, nach Outremer zurückkehren.«
    »Ehre.« Kathan lachte spöttisch auf.
    »Ich habe für dich gelogen, Bruder, und dich vor dem Richtspruch bewahrt. Du schuldest mir also etwas. Und diese Schuld fordere ich von dir ein! Vergiss das Kind und werde wieder der, der du früher gewesen bist, mehr verlange ich nicht von dir!«
    Kathan nickte langsam. »Du hast recht, Bruder. Ich sollte wieder der werden, der ich einmal gewesen bin.«

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9
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    »Hat jemand dreimal von jenem Quell gekostet, so wird er an jenem Tage keine Schwäche empfinden, und so lange er auch leben mag, immer wie ein Dreißigjähriger sich fühlen.«
    Brief des Johannes Presbyter, 122 – 125
    Djabal Hamrin
10. April 1187
    Das Gelände war unwegsam geworden. Nachdem sie einige Tage am See von Tharthûr gelagert und dort auch das Osterfest begangen hatten – wenn auch anders als im schützenden Hort des Klosters und dennoch in einer Klarheit, wie Rowan sie seit Kindertagen nicht mehr empfunden hatte –, waren sie in östlicher Richtung weitergezogen und hatten in der Nähe der Siedlung Balatû den Tigris überquert. Die Furt, die sie dabei benutzten, hatte, wie Farid zu berichten wusste, schon den Königen von Assur gute Dienste geleistet. Tausende von Jahren lag dies zurück, doch im Zweistromland schien die Geschichte ein langes Gedächtnis zu haben. Noch verblüffender jedoch war, dass die Furt mit ihren flachen, von Schilf bewachsenen Uferbänken genau der Beschreibung entsprochen hatte, die Cassandra ihnen vor Beginn ihrer Reise gegeben hatte. Selbst Bruder Cuthbert konnte sich dieser Feststellung nicht verschließen.
    Jenseits des Flusses hatte sich das fruchtbare Ackerland zunehmend in von gelbem Gras überzogener Steppe verloren, und schon bald hatten sich die ersten Hügel erhoben, die es zu überwinden galt. Und je weiter die Gefährten nach Nordosten vordrangen, desto karger wurde das Land und desto steiler die Hindernisse.
    Von Cassandras Visionen von schneebedeckten, wolkengekrönten Gipfeln geleitet, zogen die beiden Mönche und ihre Begleiter weiter – und mit jedem Schritt wagten sie sich weiter auf unbekanntes Terrain. Kaum etwas war über das Land jenseits der Ströme bekannt; es gab Berichte von wilden Steppenvölkern, aber nichts davon galt als gesichert. Nur eines wussten die Gefährten bestimmt: dass jene Expedition, die vor ihnen dieses Land durchreist und nach dem Reich des Priesterkönigs gesucht hatte, nie zurückgekehrt war.
    Ein zwischen den Grasbüscheln kaum auszumachender Pfad wand sich an der Westflanke eines weiten, sichelförmigen Höhenzugs empor, der das Land im Osten wie ein riesiger Schutzwall behütete. Ihn mussten die

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