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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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dir verbietet weiterzureiten, so verstehe ich das.«
    »Shukran djazîlan« , entgegnete der Führer und verneigte sich im Sattel. »Farid wird Euch ins Tal begleiten und Lager errichten, bevor Regen kommt. Morgen früh umkehren.«
    »Du magst in Frieden ziehen«, erwiderte Bruder Cuthbert.
    Farid trieb sein Kamel zur Eile an und ritt erneut voraus. Den Wolken nach, die sich immer dichter über ihnen ballten, würde es nicht mehr lange dauern, bis der Regen einsetzte. Cassandra folgte dem Halbarmenier, Rowan und Bruder Cuthbert übernahmen erneut die Nachhut des kleinen Zuges.
    »Ihr lasst ihn einfach gehen, Meister?«, fragte Rowan fassungslos.
    »Ab hier kann Farid uns nicht mehr helfen«, entgegnete Cuthbert. »So war es von Anfang an mit ihm vereinbart.« Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Würdest du lieber mit ihm ziehen?«
    »Nein«, versicherte Rowan, »aber …«
    »Hast du nicht selbst gesagt, dass auf Farid kein Verlass wäre? Dass er uns bei der ersten sich bietenden Gelegenheit im Stich lassen würde?«
    »Nun, ich …«
    »Bisweilen ist es besser aufzugeben, als Gefahr zu laufen, zum Verräter zu werden«, erwiderte der alte Mönch. Und ein Gefühl sagte Rowan, dass er nicht nur Farid damit meinte.

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10
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    »Ich bin verirrt wie ein verlorenes Schaf; suche deinen Knecht, denn deiner Gebote habe ich nicht vergessen.«
    Psalm 119,176
    Komturei von Metz
Nacht zum 6. Dezember 1173
    Die Nacht war mondlos und wolkenverhangen. Finsternis hatte sich wie ein schwarzer Sack über die Stadt und die umliegenden Ländereien gestülpt. Auch die Komturei lag in fast völliger Dunkelheit. Nur hier und dort war eine Fackel oder ein Kohlefeuer entzündet worden, das die Schatten der Nacht ein wenig vertrieb. Die Posten, die das Anwesen bewachten, hatten ihre Umhänge eng um die Schultern gezogen und froren dennoch erbärmlich, denn dichter Nebel lag über dem Boden, und die klamme Feuchte war überall.
    Noch am Morgen hatte es geschneit, doch gegen Mittag war der Schneefall in Regen übergegangen, sodass das weiße Tuch, das Felder und Gebäude überdeckt hatte, zu grauen Fetzen verkommen war. Halb gefrorener Schlamm bedeckte den Boden des Innenhofs, über den eine einsame Gestalt schlich, leise und vorsichtig.
    Kathan schalt sich selbst dafür, dass er so lange gewartet hatte.
    Worauf, bei allen Heiligen?
    Dass er erfuhr, dass das Kind de Lacys Befragung nicht überlebt hatte? Dass es in seinen Händen zu einem willenlosen Bündel Fleisch verkommen war?
    Kathan hasste sich dafür, aber irgendwann hatte er erkannt, dass ein Teil von ihm nach wie vor auf die Absolution gewartet hatte. Darauf, dass Hugh de Lacy Mercadier und ihn zu sich rufen und ihnen erklären würde, dass das Mädchen tatsächlich diejenige war, nach der der Orden suchte; dass sie die ihnen gestellte Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit erfüllt hatten und mit dem ersten Schiff, das Frankreich im Frühjahr verließ, ins Heilige Land zurückkehren durften.
    Was für ein erbärmlicher Narr er gewesen war!
    Hatte er sich tatsächlich einzureden versucht, dass er seine verlorene Ehre auf Kosten eines unschuldigen Kindes zurückgewinnen könnte? Dass er so wie Gaumardas und Mercadier über das Unglück anderer einfach hinwegschreiten könnte? Vielleicht hatte es eine Zeit gegeben, da er tatsächlich dazu in der Lage gewesen wäre, aber jetzt nicht mehr. Das Mädchen hatte ihn dazu gebracht zu hinterfragen, woran er glaubte und in wessen Dienst er sich eigentlich stellen wollte.
    Hatten seine Brüder also recht gehabt? Hatte sie ihn tatsächlich verzaubert? Selbst wenn, es änderte nichts daran, dass sie einen Fehler begangen hatten. Sie hätten das Dorf niemals überfallen, die Menschen dort niemals töten, das Mädchen niemals entführen dürfen. Sie hatten Gottes Gebote missachtet und seine Ordnung verletzt, und es war an der Zeit, diese Ordnung wiederherzustellen, ganz gleich, was die Folgen sein mochten.
    Im Schutz der Stallmauer verharrte Kathan. Vorsichtig beugte er sich vor und spähte um die Ecke, konnte den Eingang zum Haupthaus sehen. Ein einzelner Posten hielt dort im Schein einer Fackel Wache, ein einfacher Turkopole, wie die Templer ihre Soldaten nannten. Er war noch jung und vermutlich noch nicht lange dabei, Kathan würde keine Schwierigkeiten mit ihm haben.
    Einmal, zweimal atmete er tief durch, dann löste er sich aus seinem Versteck und ging über den Vorplatz, nicht geduckt und huschend wie ein Dieb in der Nacht, sondern

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