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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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während ihm klar wurde, dass er seinem Meister nichts vormachen konnte. »Nein«, gab er zu, »das nicht, aber ohne dieses eine, dieses erste Mal …« Er verstummte, suchte angestrengt nach Worten, ohne sie zu finden. »Ihr wisst nicht, wie das ist«, sagte er schließlich nur. »Nie zuvor bin ich einem Geschöpf von solcher Schönheit und Hingabe begegnet, nie zuvor …«
    »… hast du solch süße Verzückung verspürt, solch verzehrende Hingabe«, brachte Cuthbert den Satz zu Ende, einmal mehr viel eloquenter, als Rowan es je fertiggebracht hätte, aber in jeder Hinsicht zutreffend.
    »Ja«, bestätigte Rowan verblüfft, »woher …?«
    »Wer sagt, dass ich nicht wüsste, wie das ist?«, fragte Bruder Cuthbert dagegen.
    Rowan schaute ihn fassungslos an. »Ihr …?«
    »Sie war schön«, begann sein Meister unaufgefordert zu berichten, »so schön wie die Morgenröte und so verführerisch wie der Duft von Rosen. Und sie war jung und voller Leben.«
    »Und Ihr …?«
    »Nur einmal«, bekannte Cuthbert, »aber es war, als würde die Welt für mich neu beginnen.«
    »W-was ist passiert?«, fragte Rowan stammelnd, der mit einer solchen Enthüllung nicht gerechnet hatte. »Was ist aus ihr geworden?«
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete sein Meister, wobei er wieder geradeaus blickte, hinauf zum nahen Horizont, »denn ich habe mich für einen anderen Weg entschieden.«
    »Ich verstehe.«
    »Weißt du noch, an jenem Tag in Ascalon? Als ich dir sagte, dass ich Rebellen mag?«
    »Ja, Meister.«
    »Ein Geist, der sich frei für etwas entscheidet, ist der Wahrhaftigkeit stets näher als einer, der gezwungen wurde oder nie die Wahl hatte«, erklärte der Benediktiner. »Ich behaupte nicht, dass es einfach ist, sich zu entscheiden, und ich kann dir auch nicht sagen, wie du dich entscheiden sollst. Aber entscheiden musst du dich, denn alles andere wäre unaufrichtig, sowohl dem Allmächtigen gegenüber als auch ihr gegenüber.«
    Rowan nickte.
    Betroffen. Erleichtert. Nachdenklich.
    Sie hatten den Grat des Höhenzugs fast erreicht. Jenseits davon spannte sich ein weiter Himmel, der die Farbe von Schiefer angenommen hatte und über den hin und wieder Blitze zuckten. Cassandra und Farid hatten ihre Kamele auf dem Hügelgrat gezügelt. Dunkel zeichneten sich die Umrisse von Reitern und Packtieren gegen das düstere Himmelsschauspiel ab. Cuthbert und Rowan trieben ihre Kamele die letzte steinige Anhöhe hinauf, dann hatten auch sie den Grat erklommen und konnten sehen, was sich auf der anderen Seite befand.
    Der Anblick war überwältigend.
    Eine Hochebene erstreckte sich vor ihnen, so weit und unermesslich, dass sie von einem Horizont zum anderen reichte. Und im Osten, von grauen Wolkenschleiern verhüllt und wie eine ferne Verheißung, erhoben sich majestätische Berge, deren Gipfel schneebedeckt und gezackt wie eine Säge waren.
    »Genau wie Cassandra es beschrieben hat!«, entfuhr es Rowan.
    »In der Tat«, musste Bruder Cuthbert zugeben.
    Der Benediktiner richtete einige Worte in arabischer Sprache an Cassandra, und sie antwortete ebenfalls auf Arabisch.
    »Was sagt sie?«, erkundigte sich Rowan.
    »Dass dies der Berg aus ihrer Vision ist. Und dass wir, wenn wir weiterreiten, auch den Felsen in Form eines Löwen finden werden.«
    »Und? Schenkt Ihr ihren Worten jetzt Glauben?«
    Cuthbert schnitt eine Grimasse. »Das muss ich langsam wohl.«
    Rowan nickte. Eigentlich hätte er sich darüber freuen müssen, dass der alte Fuchs seinen Widerstand endlich aufgab. Allerdings fragte er sich mittlerweile selbst immer mehr, woher die junge Frau, die ihn so sehr verzauberte, ihre Kenntnisse hatte.
    »Bis hierher Farid damals geritten«, meldete ihr Führer sich zu Wort. »Bis hierher auch diesmal reiten, nicht weiter.«
    »Warum nicht?«, wollte Rowan wissen.
    »Weil am Fuß des Gebirges beginnt verbotenes Land. Land, das Söhnen des Propheten verboten.«
    »Du bist Christ und kein Muselmane«, erinnerte Rowan ihn.
    Ein entwaffnendes Grinsen huschte über die Züge des Führers. »Farid glaubt, was immer glauben gut.«
    »Verstehe«, knurrte Rowan. »Du glaubst immer das, was dir gerade in den Kram passt, richtig?«
    »Was soll Farid machen?«, fragte der Führer dagegen. »Nur ein Gott im Himmel, aber zwei Religionen. Also gehorchen beiden Gesetzen. Sayidî Philippus damals nicht gehorchen, deshalb nicht zurückkehren. Ihr besser auch aufgeben.«
    »Nein«, lehnte Cuthbert ab, »das werden wir nicht tun, Farid. Aber wenn dein Glaube

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