Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
»Na, was meinst du? War doch ziemlich gut, he?«
»Immich uut.« Ubub nickte voller Begeisterung.
Mr Root sagte: »Du hörst doch, wie viel besser er klingt.«
Hörte ich zwar nicht, behauptete es aber. Dann sagte ich, ich müsse zurück ins Hotel zum Bedienen.
6. KAPITEL
Meine Mutter machte gerade Soufflés, ein schlechtes Zeichen, denn das bedeutete normalerweise Abendgäste. Vera, unsere Chefserviererin, war ebenfalls da, und das bedeutete definitiv mehr Abendgäste. Sie trug ihre schwarze Kellnerinnen-Bluse mit den langen Ärmeln und weißen Manschetten. Ich trug immer nur eine kurzärmelige blaue oder eine weiße, in der jemand mit mehr Mitgefühl aussähe wie eine Krankenschwester.
Ich begrüßte Walter, der hinter seinem großen Spülbecken stand. Durch die riesenhafte Spülmaschine, die neben ihm rumpelte, hörte es sich in der ganzen Küche wie auf einer Baustelle an. Wenn die Spülmaschine aber nicht wäre, stünde ich neben Walter, den Spüllappen in der Hand. Bevor wir sie hatten, war selbst Ree-Jane ein paar Mal zum Abspülen gezwungen worden. Dabei hatte sie die ganze Zeit gejammert und Walter angemotzt. Walter ging aber überhaupt nicht drauf ein, sondern sagte immer bloß: »Schon möglich.«
Ich überlegte, ob Walter vielleicht das genaue Gegenstück zu Aurora Paradise war. Vielleicht zu uns allen. Ich hörte auf, am Kopfsalat herumzustochern, um mir das durch den Kopf gehen zu lassen. Heute gab es »individuelle Mini-Salatköpfchen«, um Mrs Davidow zu zitieren, die auf ihren Kauf offenbar große Stücke hielt. Wenn man das so hörte, konnte man glatt meinen, sie wären die Krönung aller Salatschöpfungen.
Ree-Jane bezeichnete Walter als zurückgeblieben, was er aber nicht war. Er war bloß langsam. Zwischen dreißig und fünfundvierzig hätte er alles sein können. Er trug eine schwarzgeränderte Brille und wohnte allein in einem großen Haus an der Abbiegung am Highway, dort, wo Spirit Lake sich in die Ausläufer von La Porte schiebt.
Lola Davidow war mit ihrem Martini in der Küche, was mich dran erinnerte, dass es auch Auroras Cocktailstunde war – und ich ihr den Drink jetzt zubereiten sollte, solange Mrs Davidow sich nicht im Büro aufhielt. Mrs Davidow hatte sich in pinkrosa Leinen geschmissen und ihr Gesicht gepudert. Sie besaß einen wundervoll hellen Teint, auf den sich Puder wie ein feiner Schleier legte.
Sie kam herüber, um die Mini-Salatköpfchen zu kontrollieren und mir zu sagen, ich solle behutsam sein. Behutsam? Es war ein Kopfsalat. Ich malte mir aus, wie ich Walter quer durch die Küche einen zuwarf wie einen Tennisball und der ihn zurückhaute. In meinem Geiste spielten wir ein Weilchen Tennis, bis Vera hereinkam und mich erinnerte, dass ich die Butterstückchen noch nicht in den Speisesaal gebracht hatte.
»Wie denn?«, sagte ich, »ich machte doch gerade die Salate«, und da quäkte sie bloß und stolzierte davon wie ein Gockelhahn. Jemand so Pingeliges wie Vera war mir noch nie begegnet. Gut, meine Mutter war Perfektionistin, aber sie musste nicht in allem ihre Pfoten drinhaben: den Butterstückchen, den Pyrex-Kaffeekannen, den rubinroten Weinkelchen, den Platzdeckchen, den Tellern, Gläsern, Kaffeetassen und so weiter.
Ich machte die zwölf »individuellen« Kopfsalate fertig, was aber keinen Spaß machte, denn ich durfte nichts draufstecken wie zum Beispiel kleine Gesichter aus hartgekochten Eiern. Ich versuchte, sie mit je einem schwarzen Olivenscheibchen ein bisschen aufzumotzen, bis Vera es sah und sagte, ich solle es wieder wegmachen, was ich auch tat. Als sie mir den Rücken zukehrte, versteckte ich die Oliven zwischen den festen Salatblättchen.
Ach, es wäre wunderbar, wenn Miss Bertha ihre finden und für einen Käfer halten würde. Ich begutachtete ein Olivenscheibchen und suchte dann im Glas nach einem Stück ohne Loch in der Mitte. Ich fand eines, das eher nach einem Käfer aussah. Das tauschte ich gegen das mit dem Loch aus und steckte es in den Salat, den ich Miss Bertha auftischen würde.
Im Leben, genau wie in den Angel Pies und den Schinkenwindrädchen meiner Mutter, sind es die kleinen Dinge, die zählen. Father Freeman sagte mal zu mir: »Gott steckt im Detail.« Der Sheriff dagegen behauptete: »Der Teufel steckt im Detail.« Es war also egal, welcher von beiden etwas im Schilde führte. Gott oder der Teufel, maßgeblich war das Detail.
Ich tätschelte Miss Berthas Salat und brachte die eisigharten Butterstückchen in den Speisesaal.
Da
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