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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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lassen.«
    »Morris Slade war sein Vater, stimmt’s?«
    Inzwischen stand er am Fenster und schaute auf den See hinaus. »Hm, ja.«
    »Ralph Diggs hat wohl herausgekriegt, wer seine Eltern sind und was passiert war.«
    Ben Queen drehte sich um. Er war wütend, aber nicht auf mich, sondern auf alles. »Was der alte Woodruff und seine schändliche Tochter getan haben, war furchtbar, und die Schuld hat man Morris Slade zugeschoben, obwohl der nichts damit zu tun hatte. Ein Baby irgendwo draußen im Wald umkommen lassen … Das sollte dieser Page vom Belle Ruin tun, es aussetzen oder ertränken oder was weiß ich.« Kopfschüttelnd wandte er sich wieder zum Fenster. »Kannst du dir das vorstellen?«
    Brauchte ich gar nicht. Moses in den Binsen, Mary-Evelyn Devereau. Und ich. Ich beinahe. Ich brauchte es mir gar nicht bildlich auszumalen. »Er war der Sündenbock.« Damit hatte ich Morris Slade gemeint, es hätte aber genauso gut auf Ralph Diggs zugetroffen. Ganz sicher aber auf Ben Queen, der für zwei Morde verantwortlich gemacht worden war, die er gar nicht begangen hatte.
    Ben Queen lächelte unmerklich. »Du erinnerst dich an die Geschichte?«
    Ich nickte, dann sagte ich mit einem anklagenden Ton in der Stimme: »Das waren alles Sündenböcke.« Und dann: »Wieso sind Sie vom Brokedown House geflüchtet?«
    »Wir sind beide weg. In meinem Pick-up.«
    »Sie hätten …« Was denn? Mir fiel nichts ein.
    »Was hätte ich sollen? Morris wollte mich da raushalten. Er sagte, er wär mir was schuldig.«
    »Dafür, dass Sie ihm das Leben gerettet haben?«
    »Nicht bloß deswegen.«
    Mich ging das alles ja nichts an, doch ich musste fragen. Wie immer. Ich tastete mich vorsichtig heran und sagte in lässig-beiläufigem Ton, so als würde ich mit meinen Freundinnen auf dem Schulhof plaudern: »Ich wette, Imogen Woodruff war gar nicht seine Mutter.«
    »Nein, war sie nicht.« Näher ging er nicht darauf ein.
    »Wollen Sie denn da was unternehmen?«
    »Wegen Morris? Hab ich schon.« Er stand auf, als wollte er es in dem Moment erledigen.
    Ich fragte mich natürlich, was er damit meinte, aber wenn er sich nicht dazu äußern wollte, würde ich auch nicht fragen.
    »Kommst du denn zu Fuß nach Hause, bevor es dunkel wird? Ich könnte dich mitnehmen, wir können aber bloß die alte Straße dort rauf.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Rückseite des Hauses. »Das wär ein langer Umweg, ein richtig umschweifiger Weg zum Hotel.«
    Ich musste unwillkürlich schmunzeln, denn mir fiel meine umschweifige Art ein. »Ich schaff das schon.« Tat ich nicht! Doch ich stand auf und ging mit ihm an die Tür.
    Er tippte sich an den Hut. »Also dann, Emma. Hat mich gefreut, mit dir zu reden. Wie immer. Ich geh dann zu meinem Pick-up.« Er holte seine Flinte.
    Wir traten beide hinaus und blieben einen Augenblick unschlüssig stehen.
    Er schulterte die Flinte und sagte: »Na, also bis dann, Emma.« Er ging hinten ums Haus herum, bis der Wald ihn verschluckte, so wie der See das Licht verschluckt hatte.
    »Bye-bye«, rief ich und glaubte, mein Echo zu hören, oder vielleicht war er es, der zum Abschied am Rand der Dunkelheit rief.

60. KAPITEL
    Sobald ich mich an dem Vormittag aus dem Speisesaal loseisen konnte, ließ ich Delberts Gequatsche auf dem Weg nach La Porte über mich ergehen und war schon aus dem Taxi draußen, bevor es richtig angehalten hatte. Trinkgeld kriegte er keins.
    Wegen Donny ging ich nicht gleich ins Gerichtsgebäude. Ich hatte nämlich keine Lust, mit dem Sheriff zu reden, wenn Donny dabei war. Ich hoffte bloß, Maureen hatte dem Sheriff erzählt, dass Donny mir »polizeiliche Angelegenheiten« verraten hatte. Wenn nicht, dann würde ich es tun.
    Maud kam nach hinten und bot mir, obwohl es erst zehn Uhr morgens war, einen Teller Chili an. Ich verzehrte aber, sozusagen als Frühstücksnachtisch, gerade einen Donut mit Vanilleguss und lehnte dankend ab.
    Während sie in die Sitznische rutschte, sagte Maud: »Hast du schon gehört, was passiert ist?«
    »Ich hör doch nie was.«
    »Ben Queen war heute früh bei Sam. Hat sich gestellt, würde man das wohl nennen.«
    Ich hatte mir schon gedacht, dass es so kommen würde, nach dem, was er mir am Vorabend gesagt hatte. Da hatte er nämlich gesagt, er hätte »schon« etwas unternommen. Was denn? Wahrscheinlich hatte Donny bereits gewusst, dass Ben sich stellen wollte, oder es vielleicht auch bloß vermutet.
    Ich legte meinen Donut aus der Hand. Es war alles so unfair. Ben Queen,

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