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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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sich für die Rache an Morris Slade aber nicht so verausgaben wollte. Er würde ihn sich einfach irgendwie vom Hals schaffen. Morris Slade ließe sich bestechen, dachte er wohl. Bestechen ließe sich ja wahrscheinlich fast jeder. Ich bestimmt.
    Jetzt stand ich vor Forbishs Schuhladen ( SCHUHE FÜR FLINKE FÜSSE stand auf dem Schild). Mr Forbish passte Helene Baum, die neben sich auf dem Stuhl eine Kuchenschachtel stehen hatte, gerade welche an. Im Ladeninnern war es zwar dämmerig dunkel, als gehörte der zu einem anderen Sonnensystem, trotzdem konnte ich so tun, als würde ich sehen, wie groß Helene Baums Füße waren. Als sie in meine Richtung guckte, formte ich mit dem Mund ein überraschtes großes O. Sie saß aber so weit drinnen, dass ich nicht erkennen konnte, ob sie mein erschrockenes Gesicht sah. Vielleicht würden wir uns eines Tages auf der Straße begegnen, und sie würde mir ein paar zusammengefaltete Geldscheine zustecken und sagen, das sei dafür, dass ich ihre Schuhgröße nicht rumerzählt hatte.
    In meiner Tasche fand ich einen alten Streifen Doublemint-Kaugummi, steckte ihn in den Mund und ging weiter. Wahrscheinlich wusste ich eine ganze Menge über Leute, die mir was dafür zahlen würden, es nicht zu verraten. Ich ging auf der anderen Straßenseite weiter, beschloss dann aber, lieber zum Taxistand zu gehen und Delbert über mich ergehen zu lassen.
    Der machte ein Riesengetue wegen der Uhrzeit. »Fünf Uhr auf die Sekunde!«, als wäre er verantwortlich für meine Pünktlichkeit. Während wir aus der Stadt hinausfuhren und unterwegs die freundlichen Fassaden von Braeburns Touristenherberge und Arturos Restaurant vorbeiglitten, überlegte ich: Wenn Delbert mich jetzt entführen würde, auf welchen Wert würden mich bestimmte Leute dann schätzen, und wie viel würden sie bezahlen, um mich zurückzukriegen?
    Ich saß immer hinter ihm, wo er mich im Rückspiegel nur sehen konnte, wenn er sich den Hals verrenkte. Er hetzte meinem Gesicht im Spiegel so hinterher, wie ein Schwein, hatte ich gehört, das nach Trüffeln wühlt. Bei Emily Dickinson würde der es keine fünf Minuten aushalten, so viel ist sicher, mit der Trennwand dazwischen.
    »Hast du heute was Interessantes gemacht?«
    »Nein.« Solche unbestimmten Fragen hasste ich, bei denen der Fragende sich nicht um die Antwort schert, sondern dem anderen bloß die Last des Gesprächs aufbürdet, damit der, der gefragt hat, sich untätig zurücklehnen konnte (und sich dann einen guten Zuhörer nannte): » Sind Sie Bergsteiger? Erzählen Sie mir davon!« »Spielst du Oboe? Erzähl mal davon.« »Sie haben Ihre Kinder ermordet? Erzählen Sie mir davon!« Dabei stellte ich mir vor, wie die Befragte, Medea, dem Fragenden ein Messer in die Brust rammt und antwortet: »Ungefähr so.«
    »Dein Bruder da«, sagte Delbert, wieder ganz auf Zack, »bringt der mal wieder ein paar Stücke raus? Das letzte war ja eine Mordssache!«
    »Heißt das, du hast es gesehen?«
    »Näh. Hab ich bloß gehört. Für so Zeug hab ich keine Zeit.«
    Ich schaute zu, wie die Landschaft vorbeizog, und überlegte einen Augenblick. »Och, das ist aber schade, eine der Figuren warst nämlich du.«
    Das saß! Er wäre fast von der Straße abgekommen. In Delberts Leben, vermutete ich, gab es nicht viel Dramatisches.
    »Was? Was meinst du damit?«
    »Du warst Kreon.«
    »Kre-on wer? Wer is das denn?«
    »Ein Taxifahrer.« Ich befürchtete, das alles regte ihn so auf, dass er gleich anhalten würde. Er schlug aber bloß wild um sich und suchte im Spiegel.
    Ich sagte: »Das war damals bei den alten Griechen.«
    »Hatten die Taxis, die Griechen?«
    »Feuerwagen.«
    »Dann hat der Kerl einen Feuerwagen gefahren? Mit Pferden?«
    »Nein. Du hast ein Taxi gefahren. Das war direkt auf der Bühne, das Vorderteil jedenfalls, das hat Will aus Schrott zusammengebastelt. Es war Taxi Nummer zweiundachtzig. Mit dem ist Medea zu den Spielen in Olympia gefahren.«
    In dem Moment kamen wir an Brittens Laden vorbei, und ich winkte Mr Root zu, der aber so mit Ulubs Sprechprobe beschäftigt war, dass er gar nichts merkte.
    »Woher wussten die Leute dann, dass ich’s war, wenn ich gar nich auf der Bühne war?«
    Ich überlegte, während sich das Taxi der Hotelauffahrt näherte. »Weil die Figur wie du geredet hat. Und für einen Griechen namens Axel gearbeitet hat.« Da kam mir plötzlich eine Idee. »Pass auf: Fahr noch nicht am Hotel vor. Bieg hier rechts ab auf die Pine und fahr dann die E Street

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