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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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dem »Frost« von selber. Den holte ich jetzt hervor, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass keiner guckte, und stellte ihn hinter den großen Mixer.
    Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass meine Mutter ihn dort entdeckte, wenn das Eis schmolz, aber Walter und ich würden einfach behaupten, er gehöre Lola Davidow. Sie würde sagen, sie hätte ihn nicht dort hingestellt, wogegen wir einwenden würden, sie hätte es eben vergessen, was zwar nicht der Wahrheit entsprach, sich aber danach anhörte.
    Zum Abendessen gab es Lammbraten mit brauner Soße oder mit Minzsoße. Miss Bertha wollte ihr Lammfleisch immer englisch, also sehr blutig, und meine Mutter weigerte sich immer, blutiges Lammfleisch zu servieren. Heute Abend war es auch so bestellt und auch so abgelehnt worden. »Wenn sie möchte, kann Walter ja rausgehen und ihr ein Kaninchen schießen. Das könnte ich mit einem netten Tularämie-Confit servieren.«
    Walter lachte sich halb schlapp. Miss Bertha verweigerte die Nahrung. Mir war es recht.
    Während das Getöse weiterging, servierte ich Mr Muggs sein Dessert. Wir betrachteten es beide voller Respekt. Es war neapolitanische Tarte, eins der Meisterwerke meiner Mutter, halb mit Karamellstreifen durchzogene Eiscreme, halb lockerer Blätterteig und das alles in einer Mandelkruste mit heißer Karamellsoße.
    Ich ging in die Küche, um meinen Jack Frost zu holen und ihn eilends zu Aurora hinaufzubringen.

27. KAPITEL
    »Und wenn sie nun genau an dem Tag starb?« Auroras Augen glitzerten.
    »Meinst du, starb oder umgebracht wurde?«
    »Eins oder das andere. Beides.« Sie wischte meine Frage beiseite. »Ich weiß auch nicht, was ich meine, wenn ich hier auf dem Trockenen sitze. Da …« Sie hielt mir ihr Glas hin.
    Ich hatte keinen Jack Frost auf Eis mehr. »Ich komm nicht an den Whiskey ran, wenn Mrs Davidow im Büro ist.«
    Dies hatte keine Wirkung auf die ausgestreckte Hand. Sie sagte: »Die ist wahrscheinlich eher in ihrer Destille draußen. Na los, dir wird schon was einfallen.«
    »Später fällt mir was ein.« Ich rührte mich nicht. »Du sagtest, das Baby ist vielleicht gestorben oder wurde umgebracht, und Mr Woodruff und vielleicht Imogen haben die Entführung als Ausrede erfunden? Eine Entführung inszenieren wäre aber nicht einfach.«
    »Na, ein totes Baby erklären wäre aber viel mehr Aufwand, oder?«
    »Sie ist nicht tot.«
    Jetzt tat Aurora so, als würde sie nichts hören, weil ich nicht gleich losgerannt war, um ihr Nachschub zu holen. Sie fing an, vor sich hin zu summen und an dem Perlenknöpfchen ihres gehäkelten Handschuhs herumzufummeln.
    »Ich habe dir doch von einem Mädchen erzählt, das ich immer wieder sehe und das Morris Slade wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Die muss mit ihm verwandt sein.«
    Aurora verstummte und schaute mich an. »Du meinst, bloß weil du jemanden gesehen hast, der so aussah wie er, muss es das Baby sein? Bist du bekloppt? Wie kommst du drauf, dass sie die Einzige war?«
    Ich sah sie verdutzt an. Ich war verdutzt.
    Aurora nutzte mein Schweigen als Gelegenheit, mir wieder ihr Glas hinzustrecken. Ich war so verdutzt, dass ich es nahm.
    Lola Davidow war im hinteren Büro, und ich hörte Eiswürfel im Glas klirren, nahm also an, dass sie dort ihren Eiskübel hatte. Weil keine Chance bestand, an den Alkoholvorrat heranzukommen, ging ich wieder in die Küche.
    Walter stand allein hinten in den dunklen Gefilden der Geschirrspülmaschine und trocknete gerade eine große Platte ab. Seufzend stellte ich Auroras Glas hin. »Mrs Davidow ist im Büro, also kann ich Aurora keinen Drink mehr holen.« Mir war es eigentlich egal, ich hatte die Nase voll.
    Walter trocknete sich die Hände ab und sagte: »Bin gleich wieder da.« Er nahm die Küchenschere vom Nagel und ging zur Seitentür hinaus auf die Veranda und die Treppe hinunter, die zum Kiesweg ums Hotel führte.
    Ich ging ihm hinterher, ließ die Fliegengittertür knallen. Inzwischen war es dunkel, und als ich zu ihm hinunterschaute, konnte ich sehen, wie sich sein helles Hemd über das dunkle Gras bewegte. Er schnitt mit der Küchenschere irgendetwas ab, aber es sah fast aus, als würde er mit der Sense mähen, so wie seine Arme sich hin und her bewegten. Mir fiel ein Gemälde in der Bücherei ein, auf dem Männer mit Sensen Getreide mähten. Es stammte von einem berühmten Künstler, der auch noch viele andere Bilder gemalt hatte, von Booten und Meeren, aber mir gefiel das von der Farm. Ich konnte mich nicht mehr

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