Das Versprechen
es einfach. Ich zog mich in die
»Boutique« zurück, wie ich mich ausdrückte, in einen kleinen verrauchten Raum neben meinem amtlichen Büro. Ich ließ mir eine Flasche Chateauneuf-du-Pape von einem Restaurant in der Nähe der Sihlbrücke holen, trank einige Gläser. Es herrschte stets eine fürchterliche Unordnung in diesem Zimmer, ich will es nicht verschweigen; Bücher und Akten lagen durcheinander, aus Prinzip freilich, denn ich bin der Meinung, es sei jedermanns Pflicht, in diesem geordneten Staat gleichsam kleine Inseln der Unordnung zu errichten, wenn auch
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nur im geheimen. Dann ließ ich mir die Photographien geben.
Sie waren scheußlich. Darauf studierte ich die Karte. Perfider hätte der Tatort nicht ausgewählt werden können. Ob der Mörder von Mägendorf, von den umliegenden Dörfern oder von der Stadt gekommen war, ob er zu Fuß oder mit der Bahn reiste, ließ sich theoretisch nicht ausmachen. Es war alles möglich. Matthäi kam.
»Es tut mir leid«, sagte ich zu ihm, »daß Sie sich an Ihrem letzten Tag bei uns mit einer so traurigen Affäre abgeben müssen.«
»Unser Beruf, Kommandant.«
»Wenn ich so die Photographien von diesem Mord betrachte, wünsche ich ihn zum Teufel«, antwortete ich und schob die Photographien wieder in den Umschlag.
Ich ärgerte mich und konnte meine Gefühle vielleicht nicht ganz beherrschen. Matthäi war mein bester Kommissär - Sie sehen, ich bleibe bei dieser nicht korrekten, aber sympathischeren Rangbezeichnung -, sein Ausscheiden war mir in diesem Augenblick höchst zuwider.
Er schien meine Gedanken zu erraten.
»Ich denke, Sie übergeben den Fall am besten Henzi«, meinte er.
Ich zögerte. Ich wäre auf diesen Vorschlag auf der Stelle eingegangen, wenn es sich nicht um einen Lustmord gehandelt hätte. Bei jedem anderen Verbrechen haben wir es leichter. Wir brauchen nur die Motive zu überlegen, Geldmangel, Eifersucht, und schon läßt sich der Kreis der Verdächtigen enger ziehen.
Doch bei einem Lustmord ist diese Methode sinnlos. Da kann einer auf der Geschäftsreise ein Mädchen sehen oder einen Knaben, er steigt aus seinem Wagen - keine Zeugen, keine Beobachtungen, und am Abend sitzt er wieder zu Hause, vielleicht in Lausanne, vielleicht in Basel, irgendwo, und wir stehen da, ohne Anhaltspunkte. Ich unterschätzte Henzi nicht, er war ein tüchtiger Beamter, aber nicht erfahren genug, wie mir schien.
Matthäi teilte meine Bedenken nicht.
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»Er hat nun drei Jahre unter mir gearbeitet«, sagte er, »er kennt sein Metier durch mich, und ich kann mir keinen besseren Nachfolger vorstellen. Er wird seine Aufgaben so erledigen, wie ich es tun würde. Und außerdem werde ich morgen noch dabei sein«, fügte er hinzu.
Ich ließ Henzi kommen und befahl ihm, mit Wachtmeister Treuler zusammen das engere Mordbüro zu bilden. Er war erfreut; es war sein erster »selbständiger Fall«.
»Bedanken Sie sich bei Matthäi«, brummte ich und fragte ihn nach der Stimmung bei der Mannschaft. Wir schwammen, hatten weder Anhaltspunkte noch Resultate, und es war wichtig, daß die Mannschaft unsere Unsicherheit nicht spürte.
»Sie ist überzeugt, wir hätten den Mörder schon«, bemerkte Henzi.
»Den Hausierer?«
»Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Von Gunten hat schließlich schon ein Sittlichkeitsdelikt begangen.«
»Mit einer Vierzehnjährigen«, warf Matthäi ein. »Das ist etwas anderes.«
»Wir sollten den Mann ins Kreuzverhör nehmen«, schlug Henzi vor.
»Das hat Zeit«, entschied ich. »Ich glaube nicht, daß der Mann etwas mit dem Mord zu tun hat. Er ist nur unsympathisch, und da kommt ein Verdacht gleich auf. Aber das ist ein subjektiver Grund, meine Herren, kein kriminalistischer, und dem wollen wir nicht so ohne weiteres nachgeben.«
Damit verabschiedete ich die Herren, ohne daß sich meine Laune besserte.
Wir setzten die ganze verfügbare Mannschaft ein. Schon in der Nacht und am folgenden Tage ließen wir in den Garagen nachfragen, ob in einem Wagen Blutspuren festgestellt worden waren, später ebenfalls in den Wäschereien. Dann ließen wir das Alibi aller jener Leute nachprüfen, die einmal mit gewissen Paragraphen in Berührung gekommen waren. Bei Mägendorf drangen unsere Leute mit Hunden und sogar mit einem
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Minensuchgerät in den Wald, in welchem der Mord geschehen war. Sie durchforschten das Gehölz nach Spuren, hofften vor allem die Mordwaffe zu finden. Sie untersuchten systematisch jeden Quadratmeter,
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