Das Versprechen
Mägendorf nehmen. Feller gehorchte, fuhr durch die Wälder. Sie erreichten den Dorfplatz, als das Totengeleit schon heranzog, ein langer Zug schweigender Menschen. Eine große Menge aus den umliegenden Dörfern und auch aus der Stadt war herbeigeströmt, der Beerdigung beizuwohnen. Die Zeitungen hatten den Tod von Guntens schon berichtet; allgemein war man erleichtert. Die Gerechtigkeit hatte gesiegt.
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Matthäi hatte den Wagen verlassen und stand mit Feller zwischen Kindern der Kirche gegenüber. Der Sarg war auf einem Fuhrwerk aufgebahrt, das zwei Pferde zogen, und war von weißen Rosen umgeben. Hinter dem Sarg folgten die Kinder des Dorfes, immer zu zweit mit einem Kranze, geführt von der Lehrerin, dem Lehrer, dem Pfarrer, die Mädchen in weißen Kleidern. Dann die Eltern des Gritli Moser, zwei schwarze Gestalten. Die Frau blieb stehen und sah den Kommissär an. Ihr Gesicht war ausdruckslos, ihre Augen waren leer.
»Sie haben Ihr Versprechen gehalten«, sagte sie leise, aber so exakt, daß der Kommissär es hörte. »Ich danke Ihnen.«
Dann schritt sie weiter. Ungebeugt, stolz neben einem gebrochenen, auf einmal alten Manne.
Der Kommissär ließ noch den ganzen Zug an sich vorbeiziehen, den Gemeindepräsidenten, Vertreter der Regierung, Bauern, Arbeiter, Hausfrauen, Töchter, alle in ihren besten, feierlichsten Kleidern. Alles war stumm in der nachmittäglichen Sonne, auch bei den Zuschauern regte sich nichts, nur das weite Hallen der Kirchenglocken, das Rollen des Fuhrwerks und die unzähligen Schritte der Menschen auf dem harten Pflaster der Dorfstraße waren hörbar.
»Nach Kloten«, sagte Matthäi, und sie stiegen wieder in den Dienstwagen.
Nachdem er sich von Feller verabschiedet und die Paßkontrolle durchschritten hatte, kaufte er in der Wartehalle die »Neue Zürcher Zeitung«. Das Bild von Guntens war darin, der als Mörder des Gritli Moser bezeichnet war, aber auch das Bild des Kommissärs mit einer Notiz über seine ehrenvolle Berufung.
Ein Mann, der den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte.
Doch als er auf die Flugpiste trat, den Regenmantel über dem Arm, bemerkte er, daß die Terrasse des Gebäudes voll Kinder war. Es waren Schulklassen, die den Flughafen besuchten. Es waren Mädchen und Buben in farbigen Sommerkleidern; es gab ein Winken mit kleinen Fahnen und Taschentüchern, ein Jubeln und Staunen über das Aufsteigen und Sinken der silbernen
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Riesenapparate. Der Kommissär stutzte, schritt dann weiter der wartenden Swissair-Maschine zu. Als er sie erreichte, waren die andern Passagiere schon eingestiegen. Die Stewardeß, die die Reisenden zur Maschine geführt hatte, hielt die Hand hin, um Matthäis Karte in Empfang zu nehmen, doch der Kommissär wandte sich aufs neue um. Er schaute auf die Kinderschar, die glücklich und neidisch zu der startbereiten Maschine hinüberwinkte.
»Fräulein«, sagte er, »ich fliege nicht« und kehrte ins Flughafengebäude zurück, schritt unter der Terrasse mit der unermeßlichen Schar der Kinder hindurch dem Ausgang zu.
Ich empfing Matthäi erst am Sonntagmorgen, doch nicht in der
»Boutique«, sondern im offiziellen Büro mit dem gleichsam amtlichen Blick auf den Sihlquai. An den Wänden Gubler, Morgenthaler, Hunziker, anerkannte Zürcher Maler. Ich war verärgert, es hatte Scherereien gegeben; ein Anruf des politischen Departements war gekommen von einem Herrn, der partout nur französisch sprechen wollte; die jordanische Botschaft hatte protestiert und der Regierungsrat Auskünfte verlangt, die ich nicht geben konnte, weil ich das Vorgehen meines einstigen Untergebenen nicht begriff. »Nehmen Sie Platz, Herr Matthäi«, sagte ich. Meine Förmlichkeit stimmte ihn wohl etwas traurig. Wir setzten uns. Ich rauchte nicht und traf keine Anstalten dazu. Das beunruhigte ihn. »Die Eidgenossenschaft«, fuhr ich fort, »schloß über die Abtretung eines Polizeifachmanns an den jordanischen Staat ein Abkommen, des weiteren schlössen Sie, Herr Doktor Matthäi, einen Vertrag mit Jordanien. Durch Ihre Nichtabreise wurden diese Verträge gebrochen. Ich brauche wohl von Jurist zu Jurist nicht deutlicher zu werden.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Matthäi.
»Ich bitte Sie deshalb, so schnell wie möglich doch noch nach Jordanien zu reisen«, schlug ich vor.
»Ich reise nicht«, entgegnete Matthäi.
»Weshalb?«
»Der Mörder der kleinen Gritli Moser ist noch nicht gefunden.«
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»Sie halten den Hausierer für
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