Das Versprechen
von ihnen? Vielleicht hatte er nur deshalb keinen Erfolg, weil sein alter Beruf doch vielen bekannt war; das hatte er ja nicht vermeiden können, auch nicht damit gerechnet. Doch machte er weiter, wartete und wartete. Er konnte nicht mehr zurück; das Warten war die einzige Methode, auch wenn es ihn aufrieb, auch wenn er manchmal nahe daran war, die Koffer zu packen, wegzureisen, fluchtartig, meinetwegen nach Jordanien; auch wenn er manchmal fürchtete, den Verstand zu verlieren. Dann gab es Stunden, Tage, wo er gleichgültig wurde, apathisch, zynisch, den Dingen ihren Lauf ließ, auf der Bank vor der Tankstelle saß, einen Schnaps um den andern trank, vor sich hin stierte, Zigarrenstummel auf dem Boden. Dann raffte er sich wieder hoch, sank aber immer mehr in seinen gleichgültigen Zustand zurück, verdöste die Tage, die Wochen im absurden grausamen Warten. Verloren, verquält, hoffnungslos und doch voll Hoffnung. Einmal aber, als er dasaß, unrasiert, müde, ölverschmiert, schrak er auf. Plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein, daß Annemarie noch nicht von der Schule zurück war. Er machte sich auf den Weg, zu Fuß. Die ungeteerte staubige Straße stieg hinter dem Hause leicht bergan, senkte sich dann, führte über eine verdorrte Ebene, durchquerte den Wald, von dessen Rand man das Dorf von weitem sehen konnte, alte Häuser um eine Kirche geduckt, blauer Rauch über den Schornsteinen. Auch war von hier der Weg zu überblicken,
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den Annemarie kommen mußte, doch war keine Spur von ihr zu sehen. Matthäi wandte sich aufs neue dem Walde zu, gespannt auf einmal, hellwach; niedere Tannen, Gestrüpp, rot und braun raschelndes Laub am Boden, das Hämmern des Spechts irgendwo im Hintergrund, wo sich größere Tannen vor den Himmel schoben, zwischen denen die Sonne in schrägen Strahlen hindurchbrach. Matthäi verließ den Weg, zwängte sich durch Dornen, Unterholz; Äste schlugen ihm ins Gesicht. Er erreichte eine Lichtung, schaute sich verwundert um, er hatte sie noch nie bemerkt. Von der anderen Waldseite her mündete ein großer Weg ein, der wohl dazu diente, auf ihm Abfälle vom Dorfe herzuschaffen, denn ein Berg von Asche türmte sich in der Lichtung. An seinen Flanken lagen Konservendosen, rostige Drähte und sonstiges Zeug, eine Ansammlung von Unrat, die sich zu einem Bächlein hinab senkte, das mitten in der Lichtung murmelte. Dann erst erspähte Matthäi das Mädchen. Es saß am Ufer des kleinen silbrigen Gewässers, die Puppe neben sich und den Schulsack.
»Annemarie«, rief Matthäi.
»Ich komme ja schon«, antwortete das Mädchen, blieb aber sitzen.
Matthäi kletterte vorsichtig über den Abfallhaufen und blieb schließlich neben dem Kind stehen.
»Was machst du denn hier?« fragte er.
»Warten.«
»Auf wen denn?«
»Auf den Zauberer.«
Das Mädchen hatte nichts als Märchen im Kopf; bald wartete es auf eine Fee, bald auf einen Zauberer; es war wie eine Verhöhnung seines eigenen Wartens. Die Verzweiflung kam wieder über ihn, die Einsicht in die Nutzlosigkeit seines Tuns und das lähmende Wissen, daß er trotzdem warten mußte, weil er nichts anderes mehr tun konnte als warten, warten und warten.
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»Komm nun«, sagte er gleichgültig, nahm das Kind an der Hand und ging mit ihm durch den Wald zurück, setzte sich wieder auf die Bank, stierte wieder vor sich hin; die Dämmerung kam, die Nacht; alles war ihm gleichgültig geworden; er saß da, rauchte, wartete und wartete, mechanisch, stur, unerbittlich, nur manchmal flüsternd, beschwörend, ohne es zu wissen: Komm doch, komm, komm, komm; unbeweglich im weißen Mondlicht, schlief dann plötzlich ein, wachte steif durchfroren in der Morgendämmerung auf, kroch ins Bett.
Doch am nächsten Tag kam Annemarie etwas früher aus der Schule zurück als sonst. Matthäi hatte sich gerade von seiner Bank erhoben, um das Mädchen abzuholen, als es daherkam, den Schulsack auf dem Rücken, leise vor sich hin singend und hüpfend, von einem Bein auf das andere wechselnd. Die Puppe hing von seiner Hand hinunter, die kleinen Füße schepperten über den Boden.
»Schulaufgaben?« fragte Matthäi.
Annemarie schüttelte den Kopf, weitersingend: Maria saß auf einem Stein, und ging ins Haus. Er ließ sie gehen, er war zu verzweifelt, zu ratlos, zu müde, um ihr neue Märchen zu erzählen, sie mit neuen Spielen zu locken.
Doch als die Heller heimkam, fragte sie: »War Annemarie lieb?«
»Sie war doch in der Schule«, antwortete Matthäi.
Die Heller
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