Das Versprechen
vier auf einmal, und seine Brotschnitten mit Marmelade, las ich in der Zeitung, daß man im Sankt Gallischen ein kleines Mädchen ermordet habe, wahrscheinlich mit einem Rasiermesser, und da kam es mir in den Sinn, daß er ja gestern nachts im Badezimmer auch sein Rasiermesser gereinigt hatte, obschon er sich doch immer am Morgen rasierte, und da ging es mir auf einmal auf, wie eine Erleuchtung, und ich wurde ganz ernst mit dem Albertchen selig und sagte, Albertchen, nicht wahr, du hast das Mädchen getötet im Kanton Sankt Gallen. Da hörte er auf mit Eier essen und Marmeladeschnitten und Salzgurken und sagte, jawohl, Mutti, es mußte sein, es war eine Stimme vom Himmel, und dann aß er weiter. Ich war ganz verwirrt, daß er so krank war; das Mädchen tat mir leid, ich habe auch daran gedacht, den Doktor Sichler anzurufen, nicht den alten, sondern seinen Sohn, der auch sehr tüchtig ist und mitfühlend; aber dann dachte ich an meine Schwester, die hätte ja frohlockt, ihr schönster Tag wäre es geworden, und so bin ich eben ganz streng und entschlossen mit Albertchen selig gewesen und sagte ausdrücklich, das darf nie, nie, nie mehr vorkommen, und er sagte, jawohl, Mutti. Wie ist es denn gekommen, fragte ich.
Mutti, sagte er, ich habe immer ein Mädchen getroffen mit einem roten Röcklein und blonden Zöpfen, wenn ich über Wattwil nach Zürich gefahren bin, ein großer Umweg, aber seit ich das Mädchen kennengelernt habe, nahe bei einem Wäldchen, habe ich den Umweg immer machen müssen, die Stimme vom Himmel, Mutti, und die Stimme hat mir befohlen, mit dem Kind zu spielen, und dann hat die Stimme vom Himmel mir befohlen, ihm von meiner Schokolade zu geben, und dann mußte ich das Mädchen töten, alles die Stimme vom Himmel, Mutti, und dann bin ich in den nächsten Wald und habe unter
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einem Strauch gelegen, bis es Nacht geworden ist, und dann bin ich zurückgekommen zu dir, Mutti. Albertchen, sagte ich, du radelst jetzt nicht mehr mit dem Velo zu meiner Schwester, die Eier schicken wir mit der Post. Jawohl, Mutti, sagte er, strich sich noch ein Stück Brot mit Marmelade voll und ging in den Hof. Nun muß ich wohl doch zum Pfarrer Beck gehen, dachte ich, damit er sehr streng mit Albertchen selig rede, aber als ich zum Fenster hinausschaue und sehe, wie im Sonnenschein draußen Albertchen selig so treu seine Pflicht tut und ganz still und ein bißchen traurig am Kaninchenstall herumflickt und wie der ganze Hof blitzsauber ist, denk" ich, was geschehen ist, ist geschehen, Albertchen ist ein braver Mensch, herzensgut im Grunde, und es wird ja auch nicht wieder vorkommen.«
Nun kam abermals die Krankenschwester ins Zimmer, untersuchte die Apparatur, ordnete die Schläuche, und das Mütterchen in den Kissen schien aufs neue erschöpft. Ich wagte kaum zu atmen, der Schweiß lief mir übers Gesicht, ohne daß ich darauf achtete; ich fror auf einmal und kam mir doppelt lächerlich vor, wenn ich daran dachte, daß ich von der Alten eine Stiftung erwartet hatte, dazu die Unmenge Blumen, all die roten und weißen Rosen, die flammenden Gladiolen, Astern, Zinnien, Nelken, weiß Gott woher angeschafft, eine ganze Vase voller Orchideen, unsinnig, protzig, die Sonne hinter den Vorhängen, der unbewegliche massige Priester, der Knoblauchduft; ich hätte plötzlich toben mögen, das Weib verhaften, aber alles hatte keinen Sinn mehr, die Letzte Ölung stand bevor, und ich saß da in meinen Sonntagskleidern, feierlich und unnütz.
»Erzählen Sie weiter, Frau Schrott«, mahnte der Priester geduldig, »erzählen Sie weiter.« Und sie erzählte weiter. »So ging es denn auch wirklich besser mit dem Albertchen selig«, führte sie mit ihrer ruhigen, sanften Stimme aus, und es war nun wirklich, als erzählte sie zwei Kindern ein Märchen, in dem ja auch das Böse und das Absurde geschieht als etwas ebenso Wunderbares wie das Gute, »er fuhr nicht mehr nach Zürich; aber als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, konnten wir wieder unser Auto gebrauchen, das ich Anno achtunddreißig gekauft
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hatte, weil der Wagen des seligen Galuser wirklich aus der Mode gekommen war, und so fuhr Albertchen selig mich denn wieder in unserem Buick herum. Wir fuhren sogar einmal nach Ascona ins Tamaro, und da dachte ich, weil ihm das Fahren doch so Freude machte, er könne doch wieder nach Zürich, mit dem Buick sei es ja nicht so gefährlich, da müsse er aufmerksam fahren und könne keine Stimme vom Himmel hören, und so fuhr er denn
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