Das Versteckspiel (T-FLAC) (German Edition)
niemals gehungert und stets in einem warmen Bett geschlafen.
Was sie in den Straßen von San Cristobal sah, erschütterte sie zutiefst. Damit ließ sich nichts in ihrem bisherigen unkonventionellen Leben vergleichen. Plötzlich wurde sie von den erbärmlichen Außenseitern der Gesellschaft umgeben, in einer Welt, wo es zum Alltag gehörte, Drogen 一 oder Menschen zu kaufen und zu verkaufen. Menschliche Schwächen wurden als Waffen benutzt. Und Ramón Montero beherrschte dieses Höllenreich.
Sie war gedemütigt, bedroht und unter Drogen gesetzt worden.
Trotzdem würde sie auf die Hazienda zurückkehren und neuen Gefahren ins Auge blicken.
»Wirst du immer noch Geschäfte mit Montero machen? «, fragte sie leise.
»Ich weiß, was ich tue. « In Kyles Kinn zuckte ein Muskel. »Und
du
musst mir einfach vertrauen. «
»Oh, natürlich, nachdem du deinen edlen Charakter mehrfach bewiesen hast.«
»Möchtest du diese Leiche wirklich ausgraben? «
Mühsam schluckte sie und wappnete sich gegen die nächste Kurve, um die der Jeep schlitterte. »Was willst du eigentlich von mir, Kyle? «
»Dass du mir verdammt noch mal vertraust. Obwohl dir dein Verstand davon abrät. «
Ein alter Mann, trotz der Hitze mit einem dicken Poncho bekleidet, fegte den Gehsteig, an dem Kyle den Jeep stoppte. Nur gut, dass er nicht auf eine Antwort wartete. Darauf hätte er lange warten müssen.
Während er mit zwei Rädern auf den schmalen Bordstein fuhr, betrachtete Delanie das Gebäude. Allzu »gepflegt« wirkte das Hotel nicht. Vielleicht durfte man diesen Stadtteil nicht in der Abenddämmerung inspizieren. Sie stieg aus und streckte die verkrampften Muskeln. »Findest du’s okay, dieses Ding hier draußen auf der Straße zu tragen? «, fragte sie und zeigte auf Kyles Schulterhalfter.
»Glaubst du etwa, in San Cristobal hält man sich an Gesetze? « Seine Mundwinkel zuckten. »Nach meiner Ansicht sollte man nicht verbergen, was man zu bieten hat. Komm, gehen wir rein. «
Straßenlampen gab es nicht. Die Läden waren entweder verlassen, oder die Besitzer kümmerten sich nicht darum. Auch die Villa D’Este sah verdächtig wie die anderen halb verfallenen Häuser aus, die Delanie bisher in dieser Stadt gesehen hatte. Auf der Straße tummelten sich zerlumpte Kinder, wichen Autos und Fäusten gleichermaßen aus, und alle starrten vor Schmutz.
»Willkommen im Ritz«, murmelte sie und presste ihre Segeltuchtasche an sich. Mit weichen Knien folgte sie Kyle ins schwach erleuchtete, schäbige Vestibül.
Der Bursche am Empfang grinste breit, entblößte mehrere Goldzähne und starrte Delanies hautenge Jeans an. Über einem imposanten Bierbauch spannte sich ein fleckiges T-Shirt. Mit eiskalten Augen erwiderte sie seinen Blick.
Hastig senkte er die Lider und faltete seine Zeitung zusammen. Ein spanischer Wortschwall begrüßte Kyle, während Delanie auf dem rissigen Linoleum umherwanderte.
Dann griff der Mann hinter sich, nahm einen Schlüssel von einem Holzgestell und drückte ihn in Kyles Hand.
»Gehen wir. « Kyle nahm ihren Arm und führte sie eine dunkle Treppe hinauf. Natürlich war es sinnlos zu protestieren. Aus allen ihren Poren brach kalter Schweiß, und die Übelkeit, die sie schon im Jeep erfasst hatte, verstärkte sich.
Laut hallten die Schritte von den Wänden des schmalen Flurs in der oberen Etage wider. Brauner Verputz blätterte ab, beißender Uringestank lag in der Luft. Kyle sperrte eine Tür auf und schob Delanie in ein finsteres Zimmer. »Alles sauber«, versicherte er und druckte auf den Lichtschalter. »Wenn du hungrig bist, schickt Gil jemanden in die Cantina hinüber. «
Eine Tür, die man verschließen konnte. Jetzt fehlte ihr nur noch ein bisschen Privatsphäre. Als sie an Kyle vorbeiging, hielt er ihren Arm fest. »Eins nach dem anderen. Erst musst du…«
Sie schüttelte seine Finger ab. »… mich übergeben«, vollendete sie den Satz, eilte ins Bad und warf die Tür hinter sich zu. Kein Schlüssel. Vor der Klomuschel sank sie auf die Knie. Es war qualvoll, mit leerem Magen zu erbrechen. Schwitzend und würgend und zitternd hoffte sie, die Tortur würde bald ein Ende finden.
Dass Kyle ihr auf den Fersen gefolgt war, nützte ihr nichts. Mit einer schwachen Geste versuchte sie, ihn aus dem winzigen Bad zu scheuchen. Statt hinauszugehen, ließ er Wasser ins Waschbecken laufen. Sie konnte nicht reden. Und sie verschwendete auch keine Zeit damit, das Unmögliche zu versuchen.
Während sie die Toilettenmuschel
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