Das versteckte Experiment (German Edition)
gute Freundin gewonnen hatte, mit der er über alles reden konnte. Zu gerne hätte er einiges mehr über sie erfahren. Aber sie blockte seine Fragen zu ihrer Person stets ab. Dabei erweckte sie den Anschein, als ob es ihr leidtäte. Sie wiederholte jedoch ihr Versprechen, ihm später alles zu erklären. Jan glaubte nicht, dass sie sich damit nur interessant machen wollte. Sie schien wirklich wichtige Gründe für ihr Verhalten zu haben.
Das Gespräch mit Christine hatte Jan sehr angestrengt. Vielleicht lag es daran, dass er so viel über sich erzählt hatte. Der Dialog mit Christine und das schriftliche Formulieren zwangen ihn in gewisser Weise, über sich und seine Gefühle analytisch nachzudenken. Das hatte er in dieser Form noch nie gemacht. Irgendwie hatten ihn seine Empfindungen einfach wie selbstverständlich im täglichen Leben begleitet. Er hatte nie darüber nachgedacht, wie sie entstanden, wodurch sie beeinflusst wurden und wie sie seine Handlungsweise beeinflussten.
Jan wünschte sich jetzt, nach so viel komplizierter Materie, in die berechenbare Welt des Computers einzusteigen. Wenn er sich mit den Programmentwicklungen für seinen Vater beschäftigte, konnte er alles um sich herum vergessen. Manchmal war es wie eine Sucht, die ihn nicht wieder losließ. An solchen Tagen saß er dann bis tief in die Nacht an seinem Computer. Dieses Mal beendete er seine Arbeit schon kurz nach Mitternacht, obwohl er am kommenden Tag schulfrei hatte. Bevor er ins Bett ging, startete er sein neues Programm, das aufwendige Berechnungen durchführen sollte. Die Ergebnisse würden erst am Morgen vorliegen.
Jans Zimmer lag im Westflügel des Hauses. Es war ursprünglich das Büro seines Vaters gewesen. Da dieser jedoch inzwischen ausschließlich im Institut arbeitete, hatte er das Zimmer Jan zur Verfügung gestellt. Jan war dort gerne eingezogen, besonders, weil es in einen Wintergarten mündete, der an den Raum auf ganzer Breite nahtlos anschloss. Im Wintergarten befanden sich lediglich einige Korbstühle und eine Hängematte, die zwischen zwei Stützpfeilern aufgespannt war. Sein Bett, eigentlich eine Schlafcouch, stand zur Hälfte im Wintergarten und zur anderen Hälfte im Arbeitszimmer. In klaren Nächten wie heute konnte er von hier aus einen großen Teil des Sternenhimmels sehen. Da die Straße, in der er wohnte, um diese Zeit nicht mehr beleuchtet war, störte auch kein Fremdlicht die wunderbare Aussicht auf die Milchstraße, die Galaxie, in der die Menschen auf dem Planeten Erde leben. „Galaxie“ war aus dem griechischen Wort „gala“ für Milch entstanden. Als man diesen Namen erfand, verglich man sicher das Bild, das sich mit den hunderttausend sichtbaren Sternen darbot, mit weißer, fließender Milch. Dass die Menschen von der Erde aus diagonal durch die eigene spiralförmige Galaxie blicken, wusste man damals sicher noch nicht. Auch dass 200 Milliarden Sterne zur Galaxie gehören und es 100 Milliarden Galaxien mit jeweils etwa 200 Milliarden Sternen gibt, konnte man sich damals sicher nicht vorstellen.
Die Sterne funkelten. Jan wusste, dass dies durch die Dichteschwankungen in der Atmosphäre verursacht wurde. Ein Satellit zog seine Bahn gleichmäßig von Süd nach Nord. „Jetzt fehlt nur noch eine Sternschnuppe“, dachte er. „Ich wüsste schon, was ich mir wünschen würde.“ Natürlich dachte er dabei an Sintja.
Als Kind hatte er geglaubt, dass Sternschnuppen tatsächlich Stücke eines Sterns seien, die abbrachen und auf die Erde fielen. Das bewies schließlich ja auch der Name und außerdem leuchteten sie beim Herunterfallen, wie es die Sterne auch taten. Mit seinen Spielkameraden war er dann am nächsten Tag oft zu dem Ort gelaufen, wo sie den Aufschlag vermuteten. Manchmal hatten sie besonders schöne Steine gefunden und einfach als Sternschnuppen identifiziert. Die vermeintlichen Sternstücke waren begehrte Tauschobjekte gewesen. Heute wusste Jan natürlich, dass die Sternschnuppen Leuchterscheinungen sind, die man Meteore nennt, und die Steine, die entweder in der Atmosphäre verglühen oder bis zur Erdoberfläche gelangen, Meteoriten. Meteoriten stammen nicht von Sternen, sondern sind entweder Bruchstücke von Kometen oder Planetoiden. Die Leuchterscheinung wird nicht durch das Glühen des Meteoriten infolge der Luftreibung verursacht, sondern vielmehr durch die Ionisation der Luftmoleküle entlang der Bahn des Körpers.
Genau genommen sind Meteoriten aber doch einmal Teile eines Sterns
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