Das versteckte Experiment (German Edition)
im CD-Ständer die Plattensammlung seiner Eltern. Dort fand er sowohl die alten Schinken aus den 1960er und 1970er Jahren, die sein Vater von den schwarzen Langspielplatten auf CD kopiert hatte, als auch neuere von Tina Turner, Jo Cocker, Westernhagen, Element of Crime und Wolf Maahn. Jan nahm die CD mit dem Titel „Der Himmel ist hier“ aus dem Ständer. Die hatte er gesucht. Er ging in sein Zimmer, legte die Disk auf, stülpte seinen Kopfhörer über und legte sich aufs Bett. Er wählte mit der Fernbedienung nacheinander die Songs an. Bereits der zweite Titel war der, den er suchte.
„Fixier dich mit meinen Augen,
Berühr dich mit meinem Blick,
Stehst einfach da so rum,
Hast keine Vorstellung davon,
Wie wahnsinnig du bist,
Streichst dir durch die Haare,
Kommst nah an meinen Tisch
Und ich flieg zu deinem Mund,
Seh nichts mehr um mich rum,
Total verliebt in dich.“
Die Worte, die Melodie, Jan spürte das gleiche Kribbeln in der Magengegend wie am Vortag im Magellan. Das Lied würde wohl für immer mit seinem gestrigen Erlebnis, mit der Begegnung mit Sintja, in Verbindung bleiben. Als Jan die Augen schloss, sah er sie vor sich. Sie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit Angela. Sie hatte nichts von der kessen Art, die ihn immer so fasziniert hatte. Ihre Augen, ihre Haare, das Lächeln und dieser etwas schüchterne Blick ...
Jan hörte den ganzen Nachmittag Musik. Ständig wählte er wieder denselben Song an. Zwischendurch erreichte er wieder seine Halbschlafphasen, in denen er unglaubliche Dinge mit Sintja erlebte. Plötzlich verstummte die Musik. Er hatte gerade einen Arm um Sintja gelegt, das Lied von Wolf Maahn klang aus der Soundanlage seines weißen Cabrios und vermischte sich mit dem Rauschen der Meeresbrandung am weißen Sylter Sandstrand. Er öffnete die Augen. Cabrio und Sandstrand waren urplötzlich verschwunden und seine Mutter stand vor ihm.
„Jan, du hast ja gar nichts gegessen. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
„Alles o. k.“, antwortete Jan, etwas enttäuscht darüber, dass ihn die Wirklichkeit eingeholt hatte.
„Ich habe jetzt noch keinen Hunger. Ich habe heute ein gutes Referat in Physik gehalten. Da könntet ihr stolz auf mich sein.“
„Sind wir doch!“, antwortete die Mutter mit einem Lächeln und verließ das Zimmer wieder. Sie schien wohl bemerkt zu haben, dass Jan gern allein sein wollte.
Jan setzte sich an seinen Schreibtisch. Fast routinemäßig schaltete er seinen Computer an. Dieser war für ihn fast so etwas wie ein Fenster zur Außenwelt geworden. Nachrichten, Börsenkurse, die er für sein bescheidenes Aktiendepot regelmäßig abfragte, und E-Mails seiner Freunde und Mitschüler ersetzten zunehmend Fernsehen und Telefon. Drei E-Mails wurden vom Server geladen. Eine kam von Nils, der um die Lösung der Matheaufgaben bat. Jan las seine handschriftlichen Aufzeichnungen mit seinem Scanner ein und schickte die Datei an den Absender.
Die zweite Mail kam von Oliver: „Was hältst du von dieser Idee für unser Forschungsprojekt: Wir könnten einen fliegenden Roboter entwickeln, der Geräusch- und Luftemissionen von hoch liegenden Quellen (z. B. Abluftkaminen von Industrieanlagen) misst. Ich habe gehört, dass es ein echtes Problem ist, Messungen im Nahbereich solcher Quellen durchzuführen.“
Jan fand die Idee nicht schlecht. „Gute Idee“, antwortete er, „recherchiere doch einmal, ob es nicht schon so etwas gibt. Im Internet gibt es bestimmt nähere Informationen zu dem Thema.“
Die dritte Mail war von Christine. „Wie war dein Referat, hat alles geklappt? Gruß Christine.“
Natürlich wollte Jan Christine von seinem Referat erzählen. Zuvor interessierte ihn jedoch, aus welchem Grunde die sonst so zuverlässige Animation der Regenradarbilder nicht zugetroffen hatte. Er rief die aktuellen Bilder auf. Das Regenband war klar zu erkennen. Es war, wie vorhergesagt, von den Niederlanden nach Deutschland gezogen und jetzt über Norddeutschland zu sehen – zumindest am Computer. Jan sah aus dem Fenster und blickte zum Himmel. Er entdeckte lediglich einzelne Kumuluswolken. Das war unglaublich. Jan holte sich ein Satellitenbild auf den Bildschirm. Die Aufnahme von 12 Uhr mittags zeigte ganz Deutschland fast wolkenlos. Es schien so, als ob die Radarbilder falsch seien. Technisch war das aber kaum zu erklären. Natürlich konnten irgendwelche Fehler im Messsystem aufgetreten sein, aber diese hätten sich sicher anders geäußert. Es wären vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher