Das versteckte Experiment (German Edition)
gar keine Daten verfügbar gewesen, vielleicht auch falsche Niederschlagsmengen ermittelt worden, aber ein komplett falscher Radarfilm erschien ihm sehr unwahrscheinlich.
Jan rief nun den Messenger auf und schrieb:
„Christine, vielen Dank für deine Mail.“
„Hallo, Jan, ist alles klargegangen?“
„Viel besser, als ich gedacht hatte; hättest du nicht besser machen können.“
„Bestimmt nicht!“
„Wie fühlst du dich heute?“, las Jan jetzt.
„Etwas aufgekratzt, aber ganz gut.“
„Was meinst du mit ‚aufgekratzt‘?“
„Unruhig, nervös, etwas mulmig in der Magengegend.“
„Mulmig?“
„Etwas unwohl, kennst du den Ausdruck ‚mulmig‘ nicht?“
„Tut mir leid, deine Umgangssprache beherrsche ich noch nicht so gut, aber ich möchte dich gerne genau verstehen.“
„Wieso ‚meine Umgangssprache‘? Du sprichst doch perfektes Deutsch. Du lebst nicht in Deutschland?“
„Ich wohne weit weg, aber ich bin dir sehr nah.“
„Was soll das heißen? In welchem Land, in welcher Stadt wohnst du?“
„Tut mir leid, aber ich kann dir im Moment nicht alles über mich erzählen.“
„Du brauchst mir ja auch nicht alles über dich zu erzählen. Aber du erwartest von mir, dass ich mit dir sogar über meine Gefühle rede, und von dir erfahre ich nicht einmal, in welchem Land du zu Hause bist.“
„Ich verspreche dir, dass du in naher Zukunft vieles über mich erfahren wirst. Es gibt aber wichtige Gründe dafür, dass das zurzeit noch nicht möglich ist. Bitte vertraue mir ein wenig. Du wirst es nicht bereuen.“
„O. k.“, schrieb Jan. Ob Christine nur ein Spiel mit ihm spielte oder ob sie wirklich triftige Gründe hatte, ihm nichts über sich zu erzählen, war Jan zu diesem Zeitpunkt völlig unklar.
„Kannst du mir nicht wenigstens ein Foto von dir mailen?“ schrieb Jan mutig.
„Lieber nicht“, antwortete Christine.
„Warum nicht?“, hakte Jan nach.
„Du würdest mich nicht leiden mögen.“
„Bist du so hässlich?“ fragte Jan etwas verärgert über Christines Antworten.
„Nein, ich bin sehr hübsch.“
„Willst du mich verarschen“, wollte Jan gerade schreiben. Entschied sich dann aber stattdessen für eine entschärfte Form: „Ich glaube, du willst mich veräppeln.“
„Was meinst du damit? Deine Antwort sieht irgendwie böse aus. Bitte glaube mir, ich möchte dich nicht verärgern. Ich werde dich niemals anlügen. Ich werde dir später alles erklären und du wirst mich verstehen.“
Jan wusste nicht mehr, was er schreiben sollte. Der Dialog mit Christine war merkwürdig und widersprüchlich. Sie behauptete, dass sie ihn nie belügen würde. Aber auch das konnte natürlich eine Unwahrheit sein. Jan musste unwillkürlich an eine Aufgabe denken, die sein Mathelehrer mal gestellt hatte. Du kommst an eine Weggabelung, ein Weg führt in das Dorf der Wahrheit, wo alle Leute die Wahrheit sagen, der andere Weg in das Dorf der Lüge, wo alle Einwohner lügen. Auf einem Weg kommt dir jemand entgegen und du sollst mit einer Frage feststellen, wo es zum Dorf der Wahrheit geht.
„Jan, bitte brich das Gespräch nicht einfach so ab.“
„Ich bin noch da, aber ich musste deine Antworten erst einmal etwas verdauen.“
„Hast du heute Sintja gesehen?“, erschien jetzt auf dem Bildschirm.
War das jetzt wieder ein Trick, um ihn aufzuheitern, oder war das echtes Interesse an seiner Person? Jan hatte schon das Bedürfnis, mit jemandem über seine Gefühle zu reden.
„Nein, leider nicht“, tippte er zaghaft ein.
„Aber du denkst ständig an sie, nicht wahr?“
„Stimmt.“
„Du hast dich in das Mädchen verliebt?“
Manchmal war Christine in den Gesprächen höflich und taktvoll, manchmal, so wie jetzt, aber auch fürchterlich direkt. Jan beschloss, sich trotzdem auf das Gespräch einzulassen. Schließlich war der Chat immer noch anonym.
„Ich glaube schon“, antwortete Jan.
„Ist das ein schönes Gefühl für dich?“
„Ich weiß es nicht so genau. Es ist wie eine Mischung aus verschiedenen Gefühlen. Sehnsucht, Aufregung, Angst und alles gleichzeitig.“
Die Unterhaltung mit Christine dauerte noch fast eine Stunde. Jan staunte über sich selbst, wie offen er über seine Gefühle reden konnte, und über Christine, wie einfühlsam sie auf ihn einging. Auch wenn die Dialoge manchmal sehr ungewöhnlich waren, so hatte Jan doch nie den Eindruck, als ob Christine irgendwelche bösen Absichten verfolgte. Er gewann eher an Zuversicht, dass er in Christine eine
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