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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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gehört.
    Jetzt hatte es aufgehört zu schneien, als ob er geradewegs unter der Wolke durchgegangen war. Genau wie der Wind am Berg umkehren konnte, war auch der Sonnendunst zurückgekehrt und jetzt stärker geworden.
    Er war in der Wohnung. Es duftete schwach nach Hyazinthen. So musste Weihnachten riechen. Er hatte fertige Fleischklößchen gekauft, und die sollten auch nach Weihnachten riechen. Es gab eine Flasche Punsch, eine neue Marke. Eine wichtige Rolle spielte das nicht. Er hatte keinen Weihnachtsschinken, hatte auch kaum daran gedacht.
    Er legte die Videobänder auf den Stuhl im Flur. In der Küche stand noch Knäckebrot auf dem Tisch. Er hatte das Paket Lätta aus Versehen draußen gelassen, und die Margarine hatte verschiedene gelbe Nuancen angenommen, die alle an Pisse erinnerten. Pisse. Er nahm die noch mehr als dreiviertel gefüllte Packung, hielt sie auf Armeslänge von sich und warf sie in die Spüle. Beim ersten Versuch perfekt getroffen. Er hob die Hand und nahm den Jubel entgegen. Wer ins Schwarze getroffen hat, hebt die Hand, und er hob die Hand, und soweit er sehen konnte, war er der Einzige, der das tat.
    In der Nacht hielt er Angela umschlungen. Sie bewegte sich sacht mit ihm, im Takt mit seinen Bewegungen, ihren Rücken gegen ihn gepresst. Sein Körper war ein Teil von ihr. Nach einigen Minuten vergaß er alle Vorsicht. Er hob sie hoch, und es war, als ob sie schwebte. Sie schrie etwas mit einer anderen Stimme, aber er hörte sie nicht, weil er auf dem Weg zum selben großen Gefühl war wie sie, gleichzeitig. Es war voller Licht.
    Hinterher, als sie ihrer CD lauschten, the boatman calls from the lake, a lone loon dives upon the water, und still lagen, dachte er an den Namen des Kindes, traute sich aber nicht etwas zu sagen. Auch Angela war vo rsichtiger geworden.
    Es hing damit zusammen, dass der Termin sich näherte. Januar, Februar, März, April. Vielleicht noch eher. Weniger als drei Monate, vielleicht. Hatte er das begriffen? Zum Teufel , nein. Hatte sie es begriffen? Natürlich nicht. Wer konnte das? Das wäre ja, als lese man sein Tagebuch, bevor man es schrieb.
    There will always be suffering, it flows through life like water. Es war eine dunkle und selbstverständliche Musik, schön, passte nicht ins grelle Licht des Nachmittags, aber hier, auf dem Weg in die letzten Nachtstunden, schwebte sie, wie sie beide eben noch ineinander geschwebt waren.
    Bertil hatte von einem arabischen Sprichwort erzählt. Man wurde kein Mann, ehe man nicht ein Buch geschrieben, einen Baum gepflanzt und ein Kind gezeugt hatte.
    Er hatte das Größte getan. War schon fast am Ziel. Angela hatte nicht mehr von Häusern gesprochen, aber er wusste, dass sie daran dachte. Ein Grundstück mit Löchern, die er gegraben hat, für einen Baum, hundert Bäume.
    Er könnte ein Buch schreiben, oder es sich nur ausdenken, es in einer Schachtel in einer Schublade vergraben, Seiten, die mit Gedanken gefüllt waren. War sein Leben... schon vollendet? Auf diese Weise? Nach dreißig Berufsjahren in Pension und dann das stille Leben, das immer darauf folgte. Hatte er seine Füße überhaupt schon ins Leben gesetzt?
    Oder hatte er auch noch etwas anderes in sich? Himmel. Ein Buch zu schreiben, das keine Anleitung in Verhörtechnik war oder von der Bedeutung der Intuition bei Verbrechensermittlungen handelte.
    Wenn man gut schreiben will, muss man gut denken können, dachte er. Dachte er gut? In dem Punkt hatte er sich immer auf sich verlassen, darauf vertraut, dass der Gedanke ihn früher oder später weiterführte. Jetzt war er nicht mehr so sicher. In diesem Winter, in diesem Herbst war so viel in seinem Leben passiert. Sein Vater... und das Kind, alles in einer einzigen riesigen Bewegung, die größer war als alles andere, was er erfassen konnte.
    Seine nachlassende Konzentration in dem Fall, dem Mord. Ja.
    Nachlassende Konzentration. Er musste es sich selbst eingestehen. Er war immer noch professionell, aber der Gedanke konnte in die falsche Richtung wandern. Das war ihm früher nicht passiert, nicht auf die Art. Er war in mehrere verschiedene Richtungen gewandert, aber immer in Reichweite. Veränderte sich etwas in ihm? War er es nur... das Kind und Vaters Tod... und Angela... ihre neue... seriösere Beziehung?
    »Ich höre förmlich, dass du denkst«, sagte sie und drehte sich schwerfällig um. »Hoffentlich denkst du... an uns.« »Ja.«
    »Die Arbeit ist hier jetzt wohl nicht dabei?« »Nicht besonders.« »Wie meinst du

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