Das vertauschte Gesicht
das?«
»Ich weiß nicht... mir kommt es so vor, als würde es mir schwerer fallen, mich auf das zu konzentrieren, was ich tue. Dieser Fall, ich weiß nicht... « Er küsste sie.
Vielleicht wusste er, was es war. Er wagte kaum, den Gedanken zuzulassen. Vielleicht hatte er Angst. Angst vor... ihnen. Da war etwas, das ihm Angst machte.
Sie hatte sich aufgerichtet und wollte aufstehen, um zur Toilette zu gehen. Er hatte Durst, und in dem Augenblick fragte sie ihn, ob er etwas zu trinken haben wolle.
»Ja.«
»Wein für dich.«
»Sehr gut.« Er streckte sich nach ihr, bevor sie ganz aufgestanden war. »Angela... « »Ja?«
»Hast du noch mehr... stumme Anrufe gehabt?«
»Falsch verbunden, meinst du? Hast du sie nicht so genannt?«
»Ist das noch öfter vorgekommen?«
Sie sah den Ernst in seinem Gesicht. Warum erinnerte er sie daran? Hatte er etwa plötzlich Angst?
Sie hatte es abgehakt, hatte jetzt keine Furcht mehr. Sie hatten keine Angst. Das war damals gewesen, jetzt war alles anders. Alles war hell, und schließlich hatte sie sich optimistisch gefühlt, froh. Diese verdammte Briefhölle war ein Missverständnis. Bitte nicht noch mehr Missverständnisse.
»Nein«, log sie.
Das Flugzeug aus Malaga landete im nordischen Dämmerlicht. Winter sah, wie es aufsetzte, als er das Auto auf dem kleinen Parkplatz östlich vom Auslandsterminal parkte.
Seine Mutter war eine der Ersten, die durch den Zoll kamen. Sie umarmte ihn heftig. Sie roch nach Sand und nach einer anderen Sonne. Nicht nach Gin. Der Gepäckwagen war voll und kippte fast um unter der Last.
»Ich wusste gar nicht, dass du beschlossen hast, nach Hause zurückzuziehen.«
»Das sind nur ein paar Weihnachtsgeschenke, Erik.« Im Auto kroch sie in sich zusammen, richtete sich wieder auf, blies in ihre Hände. »Es ist kälter, als ich gedacht habe.«
»Wir haben den kältesten Winter des zwanzigsten Jahrhunderts.« »Und morgen ist Heiligabend.« »Genau.«
»Wann kommt ihr zu Lotta?«
»Um halb zwei soll es Essen geben.«
»Ich freu mich drauf.« Sie sah hinaus in den dunklen Abend und auf den weißen Schnee, der das Land erhellte.
»Wie geht es Angela?«
»Besser denn je.«
»Sie nimmt zu, wie es sich gehört?« »Genau nach Plan.«
»Du hast doch hoffentlich Weihnachten frei, Erik?« »Selbstverständlich.«
38
An der Tür standen zwei Sturmlichter. Sie zischten in dem mit Regen gemischten Schnee, verloschen aber nicht. Lottas Haus in Hagen leuchtete am dunklen Nachmittag. Der Sonnenschein war fort, anscheinend aber nur vorübergehend. In diesem Winter spielte der Himmel verrückt. Winter blieb auf den glatten Steinfliesen stehen und schaute zum zweiten Stockwerk hinauf. Als Elfjähriger hatte er von dem Fenster hinausgespäht, zur Kapelle von Hagen und nach Berglärkan auf der anderen Seite des Tales.
Angela rutschte aus und hielt sich an ihm fest. Es raschelte in den Papiertüten mit Päckchen, die sie aus dem Mercedes, der draußen auf der Straße parkte, geholt hatten.
Bim und Kristina öffneten die Haustür, ehe sie die Treppe erreichten. Lottas Töchter waren jetzt unübersehbar auf dem Weg in die Erwachsenenwelt, aber nicht heute. Heute war der Tag. Winter versuchte die Jugendlichen mit den Händen voller Weihnachtsgeschenke zu umarmen.
Schon im Vorraum duftete es nach Weihnachten: Rippchen, Gewürze, der dünne Salzgeruch nach Anchovis in »Janssons Verführung«, dem Anchovisgratin. Hyazinthen. Ein besonderer Schimmer von Kerzen und vom Tannenbaum, der im Wohnzimmer stand; der ungewöhnliche Festglanz mitten am Tag, während es draußen dunkel war. Winter nahm den scharfen Geruch nach Tannennadeln wahr, als er seine Päckchen im Vorraum ablud, und er dachte an den Pinienhain, der das Grab des Vaters oberhalb von Nueva Andalucia umgab, und er sah ihn noch deutlicher, als die Mutter mit einem Tablett dampfendem Punsch aus der Küche kam.
»Willkommen, meine Kinder«, sagte sie.
»Mit dem da vor deinem Bauch kann ich dich ja gar nicht umarmen, Siv«, sagte Angela.
»Ich nehm es«, sagte Lotta, die jetzt auch aus der Küche kam, sich die Hände an einem Handtuch abtrocknete und nach dem Tablett griff.
Im Fernsehen wurde der Stier Ferdinand nach Hause zur Korkeiche geschleppt, und über die andalusische Disneylandschaft breitete sich wieder friedvolle Ruhe.
»Hast du schon mal einen Stierkampf gesehen, Großmutter?«, fragte Bim, die halb liegend auf dem Fußboden an einem Sitzsack lehnte.
»Nein, Liebchen.« Sie nahm den Blick
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