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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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er gesagt. »Es wird lange dauern«, hatte Hanne Östergaard geantwortet. »Man muss also Geduld haben?« »Das Wort möchte ich nicht benutzen.« »Ich versuche, nicht daran zu denken, aber manchmal überkommt es mich einfach.«
    »Hast du niemanden, mit dem du... über deine Erlebnisse reden kannst?«
    »Nein. Du meinst, ob ich mit jemandem zusammenlebe? Nein.«
    »Wie ist es mit den Kollegen?«
    Morelius hatte an Bartram und Vejehag gedacht. Keiner von den beiden war dabei gewesen. Sie würden es nicht verstehen. Die anderen? Die, die später dazugekommen waren? Nein. Sie waren zu spät gekommen.
    »Nein«, hatte er wiederholt. »Ich bin mit einem neuen, ganz jungen Kollegen dorthin gekommen, und der war nach einer Minute total unbrauchbar. Lag vornübergebeugt beim Auto und kotz... spuckte.« Er hatte sie angeschaut. »Ich weiß nicht, warum ich mich nicht übergeben musste.«
    »Wir reagieren verschieden«, hatte sie gesagt.
    »Ich hatte meinen Job zu erledigen«, hatte er gesagt.
    Es war wirklich ein Scheißjob gewesen.
    Sie waren nur wenige Minuten nach dem Knall zur Autobahnabfahrt gekommen. Es war ein anderer Unfall gewesen, nicht der Unfall im Tunnel.
    In einem Umkreis von hundert Metern lagen Glassplitter und Blech verteilt. Schneeregen, früh für die Jahreszeit. Glatte Fahrbahn. Der Kollege war über einen Fuß gestolpert, als er aus dem Auto stieg. Nur ein Fuß, in einem Schuh. Kollege unbrauchbar. Er hatte Hilfe über Funk angefordert und die Krankenwagen und Feuerwehr schon in der Ferne gehört, bevor er fertig war.
    Vielleicht schrie jemand aus der zermalmten Blechhölle, die ineinander verkeilt über die Autobahn verstreut lag. Schrie lauter und lauter. Lauter als die Sirenen der Krankenwagen, die immer noch nicht da waren. Wo zum Teufel blieben sie? Das war ihr Job. Er konnte nichts tun, war aber trotzdem in die Richtung gestürzt, aus der die Schreie kamen, um etwas zu tun, doch die Schreie waren verstummt.
    Das nächststehende Auto war von vorn getroffen und der Fahrer hinausgeschleudert worden, vielleicht über die Fahrbahn und hinter das Schutzgeländer. Morelius sah keinen Körper in dem Autowrack.
    Daneben stand ein kleineres Auto eingekeilt zwischen den zwei anderen. Es war in der Mitte gespalten, das Dach war weg. Auf dem Vordersitz saßen zwei Menschen.
    Das war das Bild. Er wurde es nicht los. Nachts wachte er auf mit einem Traum von dem abrasierten Auto im Körper, und ein Güterzug donnerte durch sein Gehirn.
    All das erzählte er Hanne. Versuchte es zu erzählen.
    Zuerst hatte er nicht begriffen, was er sah. Er war näher herangegangen, schräg von hinten, um festzustellen, warum sie... warum sie sich so merkwürdig neigten. Es waren ein Mann und eine Frau. Das war von hinten zu erkennen, weil die eine Person einen Anzug und die andere ein Kleid mit kurzen Ärmeln trug. Sie hatten ohne Mantel im Auto gesessen.
    Er stand an der Seite und erkannte, dass sie keine Köpfe hatten. Er konnte es nicht lassen, ihren Körpern mit dem Blick zu folgen, und da sah er... die Köpfe. Der Kopf des Mannes war im Schoß der Frau gelandet.
    Morelius hatte die Krankenwagen gehört, die Stimmen von Ärzten und Pflegern und all den anderen tausend Rettungskräften, die an der Unfallstelle herumwimmelten. Er war stehen geblieben, wie an den Karosserien festgeschweißt, festgefroren am Asphalt.
    Wieder schloss er die Augen und hörte das Klopfen an der Tür.
    »Was ist, Simon?« Bartram stand vor der Toilettenkabine. »Wir müssen los.«
    Er spülte.
    »Ja... ich komme.« »Ich warte im Auto.«

9
    Die Nacht war so ruhig gewesen, wie sie nur sein konnte. Winter hatte nach Doktor Alcorta gesucht, jedoch aufgegeben. Sein Vater lag angeschlossen an die Schläuche, Flaschen und Maschinen, die sein Leben maßen. Winter hatte lange neben ihm gesessen und in sein Gesicht geschaut, ohne an etwas Besonderes zu denken. In den Korridoren hinter ihm waren Wagen hin und her geschoben worden. Leute kamen und gingen. Eine Krankenschwester hatte etwas zu ihm gesagt, und er hatte genickt, ohne sie verstanden zu haben, und sie war gegangen und nicht wieder gekommen. Das war wie ein Teil des Geheimnisses, der Unwirklichkeit.
    Aber so war es nicht. Dies war die Wirklichkeit, die nackte Wirklichkeit. Das kleine Leben, das ihm am nächsten war. Alles andere ist bedeutungslos, dachte er in den frühen Morgenstunden, bevor er ging und sich auf ein Bett in einer kleinen Kammer vor dem Schwesternzimmer legte.
    Er hatte etwas

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