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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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und eine Pyramide darstellte. Es ist der gleiche Sand wie dort drüben in Afrika, dachte Winter, hergeweht über das Mittelmeer.
    Einen Meter von ihm entfernt saß ein Straßenmusikant auf einem Stuhl, zog seine Sandalen an und begann mit dem ersten Flamencolied des Tages, Adiös Graaaanaaaada, Graanaada Miiia. Winter warf ein paar Peseten in das Gitarrenfutteral und machte sich auf den Weg ins Krankenhaus.
    Als er das Zimmer 1108 betrat, war es leer. Er spürte einen Stich im Magen.
    Warum zum Teufel hatte sie nicht angerufen?
    Er ging hinaus in den Korridor und nannte einer Frau, die nicht dort gestanden hatte, als er gekommen war, den Namen seines Vaters. Sie zeigte zum Ausgang und sagte mit bekümmertem Gesichtsausdruck: »Cuidados Intensivos«. Ganz ruhig, dachte Winter. Das hast du schon erwartet, als du gestern angekommen bist.
    Er traf seine Mutter in der Halle vor der Station.
    »Ich hatte keine Zeit, dich anzurufen«, sagte sie.
    »Wie ist die Lage?«
    »Stabil, sagen sie. Jetzt ist sie stabil.«
    »Was ist passiert?«
    »Er hat Atemprobleme bekommen. Und der Puls.« »Was sagen die Ärzte?«
    »Doktor Alcorta hält den Befund noch etwas zurück.«
    »Dieser verdammte Alcorta. Wo ist er? Ich will mit ihm sprechen.«
    »Er operiert im Augenblick.«
    »Papa?«
    »Nein, einen anderen Patienten.«
    »Wo ist Papa?«
    »Er schläft. Komm mit.«
    Sie betraten die Intensivstation. Alles war weiß und sauber. Hier gab es ein Fenster zu einem Schotterhof und staubigen Palmen im Wind. Aber es gab auch ein Fenster zu dem Zimmer, wo Winter seinen Vater, umgeben von Schläuchen und Maschinen, in einem Bett sah. Es sah aus, als wäre er Teil eines medizinischen Forschungsprojekts.
    »Wir sollten jetzt nicht reingehen«, sagte seine Mutter.
    In dem nackten Licht wirkte sie genau so krank wie der Vater, vielleicht noch kränker, da ihr schmales Gesicht nichts verbergen konnte.
    »Wie lange muss er so liegen?«
    »Ich weiß es nicht, Erik.«
    »Wie lange bist du jetzt hier? Drei Tage? Vier? Fahr doch nach Hause, dann bleibe ich über Nacht hier.«
    »Nicht jetzt, Erik.«
    »Ich glaub, du musst dich eine Weile ausruhen. Nur ein paar Stunden, wenn du willst. Nimm meinen Mietwagen.«
    »Ich kann jetzt bestimmt nicht fahren.«
    »Dann nimm ein Taxi, zum Teu... «
    Sie sah ihn an. Ihre Augen waren mehr rot als weiß. »Vielleicht sollte ich das tun. Nur eine Weile.«
    »Ich bleibe hier«, sagte Winter. »Fahr jetzt.«
    Bartram und Morelius waren mit einer doppelten Portion frittiertem Hähnchen in süßsaurer Soße von Ming an der Ecke zur Wache zurückgekehrt. Sie saßen in der Kantine und verfolgten zerstreut einen Krimi im Fernsehen.
    »Das hätten wir sein können.« Bartram nickte zum Fernseher. »Die Beamten?«
    »Das könnten wir sein. Problemloser. Und die Damen kriegen wir noch obendrauf.«
    »Wir lösen genügend Probleme. Auch für Damen.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Ja, leider.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich kann's nicht mehr hören.«
    Bartram war still und goss Chilisoße und Soja über den Reis. Der Krimi war zu Ende, und es folgte Werbung für Windeln. Ein kleines Kind rollte auf einem Teppich herum und wurde von einer lächelnden Frau aufgehoben.
    »Eine liebe Mama«, sagte Bartram.
    »Jedenfalls solange das Fernsehen dabei ist.«
    »Eine liebe Mama«, wiederholte Bartram. Er kaute, schluckte und kippte mehr Sojasoße über den Reis.
    »Jetzt ist der Reis schwarz«, sagte Morelius. »Black rice.«
    »Eine nette Dame«, sagte Bartram. »Eine nette Dame, eine nette Mama.«
    Morelius versuchte es zu überhören, konzentrierte sich auf etwas anderes. Die Wand. Neue Werbung. Wieder die Wand. Der letzte fette Klumpen Huhn. Bartram leierte weiter.
    »Nette... Dame«, sagte er.
    »Halt endlich die Klappe.«
    »Was ist los?«
    »Halt einfach die Klappe.«
    »Mensch... was hab ich denn gesagt?«
    »HALT EINFACH DIE KLAPPE!«, brüllte Morelius, stand auf, ging zur Spüle und warf die Kartons in den Abfalleimer. Am liebsten hätte er Bartram mit reingestopft.
    Morelius verließ rasch den Raum. Er ging zur Toilette und setzte sich auf den Deckel. Bilder flammten in seinem Kopf auf. Gesprächsfetzen mischten sich hinein, Bewegungen tauchten auf, verschwanden, tauchten wieder auf. Das Gespräch, das er mit Hanne gehabt hatte... wann war das gewesen? Vor Wochen? Zwei Wochen? Er hätte nicht zu ihr gehen sollen. Nur die Jüngeren gingen zur Pastorin und auch nur dann, wenn... wenn...
    »Ich werde es nicht los«, hatte

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