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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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geträumt, vergaß es aber, als seine Mutter ihn leicht an der Schulter berührte. Abrupt richtete er sich auf. »Ist etwas passiert?« »Nein, nein, ich bin grad gekommen.«
    »Ich muss wohl eingeschlafen sein«, sagte er und sah auf die Armbanduhr. Sie zeigte acht. »Du kommst früh.«
    »Ich hatte keine Ruhe.« Sie setzte sich auf die Bettkante. »Aber ich bin ein wenig durcheinander, ich hab meine Toilettenutensilien zu Hause vergessen... die ganze Übernachtungstasche. Plötzlich war das Taxi da, und... alles ging so schnell.«
    »Bist du bei Papa gewesen?«
    »Ja. Die Lage ist unverändert stabil.«
    Winter reckte den Körper nach dem unruhigen Schlaf. Er war verschwitzt und fühlte sich wie gerädert. »Ich fahr deine Sachen holen.« »Würdest du das tun?« »Das ist doch selbstverständlich.«
    »Dann siehst du das Haus.« Sie machte eine Pause. »Aber es wäre schön gewesen, wenn... wenn wir auch dabei gewesen wären.«
    Winter fuhr durch Marbella und kam auf der anderen Seite beim Hotel Guadalpin heraus. Der Morgenverkehr war dicht. An der Straße, die nach Westen führte, drängten sich die unbebauten Grundstücke mit Maklerschildern, die Großmärkte, Autofirmen, Antiquitätenpaläste, Hotels, Ferienappartement-Anlagen, die deutschen Kliniken; eine Welt für hochbetagte Nordeuropäer mit Geld.
    An der Kreuzung beim Hotel Coral Beach verfuhr er sich. Plötzlich war er auf dem Weg nach Norden statt nach Westen in Richtung Puerto Banüs. Drei reitende Polizisten querten die Autostraße, er musste weiter nach Norden fahren und geriet in ein Neubaugebiet. Der Berg war näher als vorher. Die dreistöckigen weißen Gebäude mit Ferienwohnungen standen mitten in der Wüste, als warteten sie darauf, dass das Meer sie irgendwann erreichen würde. Winter lächelte über die urbanzaciön, die er sah: Es war wie eine Transplantation in den steintrockenen Berghang. Früher oder später würde der Berg das Fremde abstoßen.
    Dort wirkte auch die Sonne fremd, fast falsch.
    Er fuhr noch ein Stück und kam zu einem neu angelegten kleinen Golfplatz, der Abschlagplatz war gegenüber einer Bushaltestelle. Ein Mann schlug mit seinem Schläger ins Gras, und Grasbüschel flogen in die Luft.
    Er wendete das Auto und fuhr zurück, durch Puerto Banüs, vorbei am Kaufhaus Corte Ingles, das zweihundert Meter lang war, die Hügel hinauf und zwischen Villen hindurch und kam zu der Kreuzung, die seine Mutter ihm beschrieben hatte. Sie war das Herz von Nueva Andalucia. Dem Wohnsitz seiner Eltern. Er parkte das Auto auf dem offenen Platz vor dem Supermercado Diego und sah auf die kleine Skizze, die seine Mutter ihm mit zittriger Hand angefertigt hatte, stellte die Musik ab und stieg aus. Die Oktobersonne brannte kräftig und heiß. Es war noch keine zehn, aber eine Digitalanzeige unten in Puerto Banüs hatte die Zahl 29 geblinkt, eine Sekunde lang vielleicht auch 30.
    Winter ging bis zur Kreuzung. Gegenüber der kleinen Bushaltestelle führte die Calle Rosalia nach Norden. Links von der Stelle, wo er stand, lag fünf Meter entfernt auf einem Hügel das Restaurant Johnny, neben der Clinica Dental. Hinter ihm, gegenüber dem staubigen Parkplatz vom Supermarkt, gab es weitere Restaurants und ein Fitnesscenter.
    Das war also die kleine Welt seiner Eltern. Hierher gingen sie, um ihren Gin zu kaufen, die Tonicflaschen, Eier, Brot. Saßen sie abends vor Johnnys Lokal und sahen hinunter auf das Zentrum?
    Er überquerte die Kreuzung in nördlicher Richtung. Hundert Meter weiter hinauf gab es einen kleinen Supermercado mit aufgereihten Ansichtskarten auf einem Gestell vor dem Laden. Die Karten waren verblasst und von der Sonne gewellt, als ob sie schon seit Ewigkeiten dort hingen. Er ging geradeaus weiter vorbei an einem Gebäude mit der Aufschrift Torre de Andalucia. Die Straße endete beim Bistro de la Torre. Winter sah das Tal unter sich, einige kleine Steingebäude in der bäuerlichen Landschaft. Sie schienen dort unter der prallen Sonne zu liegen, als sollten sie die da oben an etwas anderes, ein anderes Leben erinnern, ein härteres, gröberes Leben ohne Schatten.
    Er ging nach rechts und erreichte nach hundert Metern die Calle Luis De Göngora. Er folgte ihr ein kleines Stück nach Süden. Hier war es also. Pasaje Jose Cadalso. Er bog in die Gasse ab, rechts und links lagen ein- und zweistöckige Villen. Die Sonne brannte ihm auf den Kopf, er bereute, dass er sich nicht irgendwo eine Mütze gekauft hatte. Alles war weiß und grün,

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