Das vertauschte Gesicht
verlegen. Nach ein paar Sekunden verstand Winter und machte eine schwach abwehrende Geste. Nein, nein. Er würde keine Frauen mit aufs Zimmer schleppen.
Draußen auf der Calle Luna bog er nach rechts ab und dann nach links in die Calle del Sol und ging hinunter zu einem kleinen Marktplatz, dann weiter zu der offenen Plaza Puente de Malaga, wo er links in der Ecke ein Cafe fand: Gaspar. Panaderia y Cafeteria. Er setzte sich an den letzten freien Tisch draußen. Es war halb neun. Um sich herum sah er nur Spanier, Männer und Frauen. Sie tranken aus hohen Gläsern Kaffee mit Milch und aßen aufgeschnittene kleine Brote mit Butter und Marmelade oder nur mit Olivenöl und Salz. Ein Kellner kam, und Winter gelang es, cafe con leche und pan con confitura zu bestellen. »Mantequilla?«, fragte der Kellner, und Winter nickte, ohne zu wissen, was es bedeutete. Vielleicht Butter.
Er bekam seinen Kaffee, der sehr gut schmeckte, starker Espresso mit Milch. Das Brot kam, es war warm. Mantequilla war Butter. Er strich sein Frühstücksbrot, wahrend die Spanier um ihn herum sich zwischen genussvollen Zügen an ihren Zigaretten in den Tag hinein husteten. Ein Mann am Nachbartisch wandte sich ab und hustete ganz fürchterlich. Ein anderer stimmte ein. Es war, als ob er im Frühstücksraum von einem Sanatorium säße. Nachdem der abgewandte das, was von seinen Lungen übrig war, frei gehustet hatte, gab er dem weiß gekleideten Kellner ein Zeichen wie einer Krankenschwester. Der Kellner ging ins Cafe und kehrte mit etwas zurück, das Winter für ein Glas Wasser hielt. Aber als der Kellner an ihm vorbeiging, nahm er den Geruch von Gin wahr. Ein anständiges Glas Gin zur Morgenstunde. Warum nicht. Winter lächelte, beendete sein Frühstück und zündete sich einen Zigarillo an. Jetzt rauchten alle an Gaspars Tischen. Der Rauch stieg in den Himmel, der auch grau war, immer noch. Darüber lag eine andere Stille im Vergleich zu gestern, eine Stille, die er am Vortag nicht bemerkt hatte. Es war nicht festzustellen, wo sich die Sonne befand, ein fast unmöglicher Gedanke an dieser Küste.
Nachdem Winter seinen Zigarillo zu Ende geraucht hatte, sah er auf die Armbanduhr, rief den Kellner und bezahlte. Ein andalusischer Hund kreuzte seinen Weg auf der Suche nach Schatten. Winter dachte an seinen Vater. Er spürte einen Spritzer Regen. Der Himmel hatte eine tiefere Färbung von grauem Stein angenommen. Die Berge hinter der Avenida waren ein Teil des Himmels und jetzt weißer als vorher. Alles sah irgendwie anders aus. Die Häuser reflektierten kein Licht mehr, was zur Folge hatte, dass die Haut der Menschen von innen her zu leuchten schien. Der Regen wurde stärker, und Winter sah den Vater in seinem Krankenhausbett vor sich. An der Sonnenküste begann die Nachsaison, und Winter versuchte, dies nicht als Symbol für das zu sehen, was jetzt, hier und in dem Zimmer im Hospital Costa del Sol geschah.
Er überquerte die breite Avenida de Ramön y Cajal und ging zur Strandpromenade hinunter. Noch ein andalusischer Hund ging über die Steine, blieb vor einem Cafe stehen und lauschte dem Flamencolied, das durchdringend aus einem Radio tönte. Der Hund pinkelte gegen die Steinmauer.
Das Meer floss mit dem Himmel zusammen, wie die Berge im Norden. Hier am Strand war der Eindruck von Nachsaison noch stärker. Winter war hinuntergegangen, hatte sich die Schuhe ausgezogen und ging nun näher am Wasser entlang. Ein Strandaufseher schleppte Sonnenschirme, ein Strandrestaurant hatte geöffnet, und die Decken flatterten im Wind. Winter spürte ihn jetzt, fast auch einen Hauch von Kühle. Sand wirbelte auf. Plötzlich war das Lied aus dem Cafe hier unten zu hören. Er dachte an das Kind und an den Winter, der überall kam. Er dachte an Angela und hatte plötzlich Sehnsucht, sie anzurufen, aber er wusste, dass er sie im Augenblick nicht erreichen würde.
Plötzlich kam die Sonne wieder hervor, und Winter fühlte ihre unerhörte Kraft nach der Kühle eben noch deutlicher. Das jähe Licht stimmte ihn plötzlich eigenartig gelöst, als hoffte er, dass die Nachsaison vorbei war und die Sonne für immer bleiben würde. Er versuchte auch darin kein Symbol zu sehen. Die Sonne ist Leben, aber auch Tod.
Während er dort stand, kamen immer mehr Menschen, ließen sich auf Liegestühlen nieder und rückten ihre Sombreros im richtigen Winkel zum Sonneneinfall zurecht. Ein Junge begann wieder, an einem Sandgebilde zu bauen, das schon drei Meter hoch war und eine Sphinx
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