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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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lauschen. Sie musste fast lächeln über den Gedanken. Hatte das mit der Schwangerschaft zu tun? »Anonyme Anrufe. Frau Malmers nächtliche Messen.« Jetzt lächelte sie. Sie sah, dass Erik es sah. Sie fühlte sich albern, überspannt. Jemand hatte sich verwählt. Nichts, worüber man weiter nachdenken musste. Aber trotzdem.
    Winter blieb im Sessel sitzen. Der untere Teil seines Gesichts wurde von der Schreibtischlampe beleuchtet. Das Kinn war von den Bartstoppeln verschattet, die ihm am Tag gewachsen waren. Er hatte sich noch nicht umgezogen, seit er nach Hause gekommen war, hatte nur Jacke und Schlips abgelegt. Das Hemd von Harvey & Hudson war am Hals aufgeknöpft, die diskreten Streifen verschwanden im Halbdunkel.
    Sie empfand so etwas wie... Trauer, seinetwegen, wegen seines Schicksals. Sie wusste, dass er mit seinen Erinnerungen kämpfte, der verlorenen Beziehung zu seinem Vater. Er versuchte damit fertig zu werden, indem er nicht darüber redete, aber das war keine Lösung. Er müsste mit jemandem sprechen. Sie sah, dass sein Kinn ein wenig heruntergesunken war, als ob er im Sessel eingeschlafen wäre, nachdem die Musik verstummt war.
    Er ist intelligent, er hat es begriffen. Doch der Schritt ist weit, es auch wirklich zu tun. In die eigenen Erinnerungen zurückzukehren. Nichts wird dadurch besser, wenn man schweigt. Oder sich geradewegs in einen neuen... schrecklichen Fall stürzt. Für eine Weile kann das eine sonderbare Form von Trost geben, aber nur für eine Weile.
    »Warum schaust du mich so an?«, sagte er und hob das Kinn, sodass fast das ganze Gesicht im Schatten war.
    »Ich hab gedacht, du schläfst.«
    »Ich ruhe aus. Jetzt hab ich mich erholt und bin fit für weitere achtzehn Stunden Arbeit.«
    »Du musst doch was essen.«
    »Es ist mitten in der Nacht.«
    »Dann eben ein Nachtmahl. Hast du heute Abend überhaupt schon was gegessen?«
    »Kaffee. Ein Käsebrötchen.«
    »Ich mach dir ein Pariser Butterbrot, mit Schinken statt Hackfleisch.«
    »Pariser Butterbrot! Gibt's das denn noch? Gibt's das Wort noch in den Wörterbüchern? Pariser Butterbrot hab ich seit dreißig Jahren nicht mehr gegessen.«
    »Dann wird's Zeit. Eine meiner nächtlichen Spezialitäten.«
    »Es gibt also immer noch Sachen, die ich nicht von dir weiß, Angela.« Er rappelte sich aus dem Sessel hoch, kroch über den Fußboden zu ihr und legte seinen Kopf in ihren Schoß. Sie streichelte ihm über den Kopf, fand aber keinen Halt in seinen kurz geschnittenen Haaren. »Dunkle, nächtliche Geheimnisse«, fuhr er fort. »Ja. Ja! Ich wage es, dieses Pariser Butterbrot zu probieren.«
    Während sie aßen, vermied er es, an seinen Vater und die letzten Stunden in Marbella zu denken. Es gelang ihm fast, aber für eine halbe Sekunde sah er Alicia vor sich, den Tisch am Altamirano, ihre Überraschung, vielleicht auch Freude, als er plötzlich dort gestanden hatte. Ihre Freundin war aufgestanden und hatte einen freien Stuhl herbeigezogen, und er hatte sich gesetzt. Essen wurde gebracht. Sie hatten auf das Essen gewartet. Zu lange, hatte Alicia gesagt und ihn angesehen, als ob sie eine Antwort auf eine Frage erwartete, die er nicht gehört hatte. Er hatte Wein getrunken, und die schwarzen Eisengitter der Balkone auf der anderen Seite des kleinen Platzes waren näher gekommen, wie von den Bougainvilleen herabgezogen. Er hatte Schweiß auf der Stirn gespürt.
    »Was sagst du dazu?«
    Angela sah ihn an und nickte zu seinem Teller. »Fantastisch«, sagte er und schnitt sich noch ein Stück von dem Brot mit Ei und Schinken ab. »Ja, nicht?«
    »Und so schnell gemacht. Es ist erst kurz nach Mitternacht«, sagte er und sah auf seine Armbanduhr. In dem Augenblick klingelte das Telefon.
    Patrik und Maria sahen die weiße Straße durch das Cafefenster. In der Innenstadt blieb der Schnee selten liegen, wenn überhaupt welcher fiel. Patrik wartete jetzt nur noch darauf, dass die Idioten den Weihnachtsschmuck über den Straßen und in den Fenstern aufhängten. Merry Christmas im November, sozusagen. Warum überhaupt noch warten? Warum nicht Weihnachten am 24. November feiern? Why not? Santa Claus is coming to town.
    »Dass es hier quasi um die Ecke passiert ist«, sagte Maria und trank ihren Kakao. Ihre Zigarette qualmte im Aschenbecher. Hier drinnen qualmten dreißig Millionen Zigaretten in den Aschenbechern, und wenn er rauskam, war ihm der Rauch bis ins Gehirn gekrochen. Er mochte das nicht. Man musste doch nicht rauchen, nur weil alle anderen

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