Das vertauschte Gesicht
spät geworden. Auf der Brücke ist jemand ins Schleudern geraten.«
»Die Leute sind nie auf den Winter vorbereitet.«
»Wir haben ja fast nie Winter.«
»Wie geht's dir sonst, Lars?« Winter sprach leise.
»Gut. Ich hab Ada in die Kinderkrippe gebracht, und das hat was gedauert.«
»Konntest du dich ein bisschen... ausruhen?«
»Ja, und ob. Ich hab ein paar Tage Ruhe gebraucht.«
»Eine Woche. Ist da was, über das wir reden müssen?«
»Wie meinst du das?«
»Gibt's was, das dich besonders bedrückt, bei der Arbeit?« »Nein, nein.«
Winter atmete tief ein und dachte nach. Er beugte sich vor.
»Hör mal, Lars, ich weiß, dass manches, was wir tun müssen... sehr schwer zu ertragen ist. Da bleiben Erinnerungen, die sind schwer wieder loszuwerden. Und dich hat es schlimmer getroffen als viele andere. Nein, nicht getroffen. Das ist nicht das richtige Wort. Aber... aushalten, du hast mehr aushalten müssen.«
»Trotzdem war ich selber schuld«, sagte Bergenhem. »Hör doch auf.« »Aber so war es.«
»HÖR AUF, hab ich gesagt.« Winter senkte die Stimme. »Ich versuche zu sagen, dass wir wie eine Mannschaft funktionieren und geben müssen, was wir können. Was wir können. Hast du das Gefühl, dass du... «
»Zum Teufel, Erik, ich bin ein paar Tage zu Hause geblieben, um mich ein bisschen auszuruhen, und du scheinst mich in ein Pflegeheim abschieben zu wollen. Psychopflege.«
»Hab ich das gesagt?«
»Nein, aber... «
Bergenhem schien einen Punkt oberhalb von Winters Kopf zu fixieren.
»Sieh mich an, Lars.« Er sah Winter an. »Ich wollte dir klarmachen, dass es ganz no rmal ist. Es ist menschlich. Aber wenn du das Gefühl hast, dass es zu viel ist für dich, dann musst du was machen.«
»Was weißt du denn schon?«
»Wie bitte?«
Bergenhem hatte sich erhoben.
»Du weißt verdammt noch mal nicht alles«, sagte er laut. Winter bemerkte, dass seine Unterlippe anfing zu zittern, schwach. Bergenhem machte einen Versuch, sich wieder zu setzen, blieb jedoch stehen. »Stell dir vor, wenn du... « Er setzte sich. Winter wartete auf die Fortsetzung. Bergenhem schaute auf. »Himmel, Erik, entschuldige. Ich weiß ja, dass dein Vater... «
»Vielleicht hab ich zu viel gesagt.« Winter streckte die Hand aus und legte sie auf Bergenhems Arm. »Du sollst nur wissen, dass du mit mir reden kannst. Ich werde versuchen zuzuhören. Ohne irgendwelche Psychologen reinzuziehen.«
Bergenhem atmete aus. Es war, als hätte er die letzte halbe Stunde die Luft angehalten.
»Ich hab bloß Zoff zu Hause.«
»Mhm.«
»Damit muss man allein fertig werden.«
Arbeit und Privatleben, dachte Winter und sah auf das Kuvert , das zwischen ihnen lag. Damit muss man allein fertig werden. Jetzt geht es um Arbeit. Heute Abend, das ist Privatleben. Heute Nacht. Er hatte Bergenhem etwas anderes fragen wollen, nach Kindern. Wie das war. Ein andermal.
»Johan war mit der Kassette bei dir«, sagte er stattdessen.
»Setter? Ja, stimmt.«
»Das Zeug hat dir nichts gesagt?«
»Death Metal? Nee danke.«
»Oder Black Metal. Das ist offenbar ein Unterschied.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das überhaupt wissen will.« Bergenhem lächelte zum ersten Mal.
»In diesem Fall ist es nötig«, sagte Winter. »Setter hat heute Morgen gesagt, in der Stadt gibt es einen Vertrieb, der sich mit dem Genre befasst, oder mit den Genres. Der hat auch eine Produktionsfirma. Wenn die nicht wissen, was das ist, dann weiß es keiner, hat Setter gesagt.«
»Ist er da gewesen?«
»Nein, ich dachte, wir beide statten dem mal einen Besuch ab.«
Die Räume lagen in der Kyrkogatan, der Kirchenstraße. Passt ja prima mit Kirche zusammen, dachte Winter, als sie die Treppen hinaufgingen. An den Wänden hingen Plakate mit Teufel- und Satanistenmotiven.
Das Plakat links an der Tür zu Desdemona Productions zeigte eine nackte Frau beim Beten: FuckMe Jesus. Etwas Neues von der Gruppe Marduk. Da war noch mehr: The Rocking Dildos. Driller Killer. The Unkinds. Ritual Carnage. Necromatia. Dellamorte. Order from Chaos. Angelcorpse.
Winter verharrte vor dem Namen. Angelcorpse. Sie präsentierten stolz eine neue CD: Exterminate.
Nach dem dritten Klingeln öffnete ein Mann mit schwarzen langen Haaren und bedrucktem T-Shirt. Auf dem schwarzen Shirt war ein feuergelber Sonnenuntergang über den Bergen, und darüber schwebte ein brennendes Kreuz. Die Botschaft war in den Weltraum geätzt: Eternal Death.
Hier fühlt man sich ja wie zu Hause, dachte Bergenhem. Oder wie bei
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