Das vertauschte Gesicht
Arbeiter der Stadtverwaltung damit beschäftigt, die Bühnengerüste für die Silvesterfeiern aufzubauen. Göteborg würde das Jahr 2000 mit Glanz begrüßen. Die ganze Stadt würde auf den Beinen sein, außer denen, die schon vor Glockenschlag zwölf umgefallen waren, dachte Morelius. Und mitten unter ihnen würde er stehen.
»Ich fahr nach Hause zu meiner Mutter.«
»Kungälv?«
»Kungsbacka.«
»Ach ja, du bist ja aus Kungsbacka, Simon. Kanntest du dann nicht vielleicht die Frau, die ermordet worden ist, diese Louise?« »Nein.«
»Redet man viel darüber in Kungsbacka?«
»Meine Mutter hat angerufen, aber sie hatte nichts Genaues gehört.« Morelius hielt vor dem Fußgängerüberweg, viele genervt aussehende Leute hetzten über die Straße. »Sie kannte diese... Louise auch nicht.« Er fuhr wieder an.
»Und was machst du selber?«, fragte er.
»Weihnachten?«
»Mhm.«
»Arbeiten.«
»Was, hast du die Schicht auch übernommen?«
»Heiligabend und den ersten Weihnachtstag.« Bartram rutschte auf dem Sitz hin und her. »Umso mehr Freizeit hab ich im Sommer.« Er schaute hinaus zu den Menschen, den Paketen, den Lichtern. »Ich mag dieses Brimborium nicht.« Er sah Morelius an. »Weihnachten hab ich noch nie gemocht.«
»Man mag es vermutlich noch weniger, wenn man dann arbeiten muss«, sagte Morelius. »Es macht keinen Spaß, in Familien zu geraten, wenn Mama und Papa etwas zu sehr gefeiert haben.«
Bartram saß in Gedanken versunken da und antwortete nicht.
»Ich verzichte gern«, sagte Morelius. »Ist doch alles sinnlos.«
»Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, und du hörst mich nicht?«, sagte Bartram.
»Das klingt wie ein Zitat.«
»Es ist aus der Bibel.«
»Aha.«
»Frag mich nicht, welche Stelle. So was bleibt manchmal hängen, ohne dass man weiß, warum. Wertloses Wissen.«
»Ich wollte dich ja gar nicht fragen.«
Winter traf sich mit dem Hausmeister in dessen kleinem Büro im Keller. Eigentlich hatte er ihn wieder zum Verhör bestellen wollen, entschied sich aber für die weichere Variante. Der Mann schien von Anfang an nervös gewesen zu sein, und das konnte sich verheerend aufs Erinnerungsvermögen auswirken.
Das Büro roch nach Werkzeug und Tabak. Auf einem Schreibtisch standen verschlissene Ordner, die offensichtlich auch als Hauklotz dienten. Hier unten war nichts von der hundertjährigen Eleganz des übrigen Hauses geblieben.
Der Hausmeister sah auf die Schreibtischplatte, als würde er etwas suchen.
Plötzlich ging es Winter auf, dass der Hausmeister vielleicht auch der Hausmeister für das Haus war, in dem er selber wohnte. Er fragte.
»Welche Adresse?«
Winter nannte sie.
»Dafür bin ich auch zuständig. Ich hab die ganze Zeile von hier bis runter zur Storgatan.« »Aha.«
Der Hausmeister zündete sich eine Zigarette an und nahm zwei Züge. Er sah Winter an und strich die Asche in einer leeren Pommac-Flasche ab, die schon halb gefüllt war mit Kippen und schwarz gefärbtem Wasser. »Man muss froh sein, wenn man einen Job hat.«
»Es ist wohl viel Arbeit.«
»Zu viel.«
»Ich bin froh, dass Sie entdeckt haben... dass mit dieser Wohnung was nicht stimmte.« »Schließlich und endlich.«
»Sie haben nicht mit jemand anders darüber gesprochen?«
»Worüber?«
»Mit jemand anders, der auch fand, dass da irgendwas komisch war.«
»Nein.«
Okay, dachte Winter. Das lassen wir einstweilen. Er kann vorsichtig sein, auf der Hut vor allem.
Der Mann strich wieder die Asche ab, und die Hälfte landete außerhalb des Flaschenhalses. Winter dachte an die Brandgefahr. Der Hausmeister saß ja immerhin manchmal auch in seinem eigenen Keller. Falls es dort ein Büro gab. Wenn man dies hier überhaupt als Büro bezeichnen konnte.
»Haben Sie in meinem Haus auch ein Büro?«
»Klar, von hier aus gibt es insgesamt drei bis runter zur Kreuzung.« Der Hausmeister rauchte und blinzelte durch den Qualm, der ihn einhüllte. »Zur anderen Kreuzung also.«
»Ich verstehe.« Winter spürte ein Kratzen im Hals. Hier würde ein diskretes Husten nichts bewirken. Der Alte zündete sich eine neue Zigarette an. Winter begann zu husten. »Eh... das Ehepaar Valker... was meinen Sie, wie oft Sie es getroffen haben?«
Der Hausmeister behielt die Zigarette zwischen den Lippen und strich sich mit den Händen über die Hosenbeine, als wollte er sich Öl abwischen. Danach musterte er seine Hände, an denen vorher auch nichts dran gewesen war, und sah Winter dann mit einer neuen Falte zwischen den
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