Das vertauschte Gesicht
fragte Winter. Spielt das eine Rolle?, dachte er. Ich bin zu sehr daran gewöhnt, Fragen zu stellen.
»Das ist eine Sonde für die Ultraschalluntersuchung.« Sie hielt sie an Angelas bläulichen Bauch, der sich schwach rundete.
Winter hörte die Herztöne im Zimmer. Er hörte das Herz wirklich schlagen. Es schlug schnell, doppelt so schnell wie bei einem Erwachsenen. Es war im ganzen Zimmer, um ihn herum. Angela nahm seine Hand. Er dachte an nichts mehr, lauschte nur.
31
Patrik schloss die Kühlschranktür, sie wurde jedoch sofort von einem der Kumpel seines Vaters wieder geöffnet, der aus dem Zimmer kam und einen scharfen Geruch nach Rauch und Schnaps mit sich brachte.
»Ich hatte hier eine Flasche Marinella, die kühlen sollte«, sagte er und sah Patrik an. »Du hast sie doch nicht geklaut?« Er lachte. Seine Augen waren wie aus Porzellan, starr, glänzend. Bald rutschen sie aus seinem Schädel und springen auf den Fußboden, dachte Patrik.
Pelle Plutt knallte die Kühlschranktür zu. »WO IST MEIN NELLA!?«, schrie er ins Zimmer. Dort lief das Fest auf Hochtouren, es war kurz davor, auszuufern. Pelle Plutt sah ihn an. Er war vielleicht erst fünfundzwanzig, konnte aber als Bruder vom Alten durchgehen. Haare hatte er noch, aber das war auch das Einzige.
»Was hast du da gemacht?«, sagte er, blinzelte Patrik zu und zeigte auf seine Wange. »Das ist aber ein ordentliches Veilchen.«
»Nichts.«
»Warst du damit beim Arzt?« »Ja.«
»Das geht vorbei, aber es bleibt noch 'ne Weile blau«, sagte Pelle Plutt, öffnete den Kühlschrank erneut und wühlte darin herum. Ein Paket Lätta fiel auf den Fußboden. »Hier ist sie ja, verdammt noch mal!« Er hielt die Flasche hoch, die halb mit einer gelbroten Flüssigkeit gefüllt war.
Eines Tages kipp ich da Pisse rein. Zur Hälfte Pisse, und er merkt nichts. Patrik nickte Pelle Plutt zu. Piss-Bruder.
»Das hier sieht aus wie dein face«, sagte Pelle und betrachtete das blaue Etikett. Er sah Patrik wieder an. »Ich hab bloß Spaß gemacht.« Wieder sah er die Flasche an und dann Patrik. »Willste was haben?«
»Nein, danke«, sagte Patrik, ging in den Flur, warf sich die Jacke über und zog seine Schuhe an, die innen noch ziemlich nass waren. Man könnte Zeitungspapier hineinstopfen, solange man sie nicht trug, aber es war schon lange her, seit jemand so was mit seinen Schuhen gemacht hatte. Er hatte eine schwache Erinnerung. Vielleicht war es Mama gewesen, früher, als er noch klein gewesen war.
Da drinnen fing ein Weib an zu singen. Sein Vater lachte, Patrik ging ins Treppenhaus und schloss leise die Tür hinter sich.
Maria saß vor einer Tasse Kakao, als er ins Java kam. »Es ist ja noch schlimmer geworden«, sagte sie. »Das gibt sich wieder«, sagte er. »Ist nichts... gebrochen?« »Nee.«
»Du solltest den Scheißkerl anzeigen.«
»Das findet die Polizei auch.« Patrik zog seine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. »Der Freund von deiner Mutter, Winter.«
»Er ist nicht gerade ihr Freund.«
»Jedenfalls hat er das gesagt.« Patrik schaute auf ihre Tasse. »Möchtest du?«, fragte sie.
»Kakao? Nee. Der reicht, den ich bei dir zu Hause getrunken hab.«
»Fünf Tassen.« Sie lächelte. »Mama sagt, du könntest ins Guinness kommen.«
»Ich bestell mir einen Kaffee«, sagte er und stand auf.
»Dir ist nicht mehr eingefallen... was du auf der Treppe gesehen hast?«, fragte sie, als er zurückkam.
»Nee.«
Er grüßte jemanden, der vorbeiging. Das Cafe war voller Kids, die rauchten und Kaffee, Tee oder Kakao tranken. Überall lagen Bücher. Patrik hatte auch hier gesessen mit seinen Büchern, als er eigentlich hinter den aufgeschlagenen Büchern in der Schule hätte sitzen sollen.
»Du siehst saumüde aus«, sagte sie. »Das kommt nicht nur von der Schwellung.«
»Danke.«
»Ich hätte keine Kraft, morgens um vier Zeitungen auszutragen.« »Fünf. Ich steh um vier auf.« »Saufrüh.«
»Man gewöhnt sich dran.«
»Ich kann dir was leihen, wenn du Geld brauchst.« »Du? Hat deine Mutter nicht den Hahn abgedreht?« »Ich hab ein bisschen.«
»Ich auch«, sagte er, »ich brauch keine Hilfe.«
Winter hatte Hanne Östergaard gebeten, bei ihm vorbeizuschauen, wenn sie zum Polizeipräsidium am Ernst Fontells Plats kam. Heute war sie da. Sie klopfte an die Tür und kam herein.
»Hallo, Erik.«
»Hallo, Hanne. Gut, dass du kommst.«
»Ich bin grad im Haus.«
»Setz dich. Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Nein, danke.« Sie setzte
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