Das vertauschte Gesicht
ab, wickelte sich das Laken um die Hüften und öffnete die Tür. Er sah seine offene Brieftasche auf dem Fußboden vor dem Badezimmer.
»Angela? Hast du gerufen?«
Keine Antwort. Er ging rasch in die Küche und dann ins Wohnzimmer. Angela saß auf dem Sofa und sah ihn mit einem Blatt Papier in der Hand an. Sie hielt es hoch, es war weiß, und Winter erkannte den Stempel von der spanischen nationalen Polizei in der linken Ecke.
Verdammt und zur Hölle. Er hatte diesen verflixten Brief mit sich herumgetragen, anstatt ihn wegzuwerfen, wie er beabsichtigt hatte. Den Umschlag hatte er weggeworfen, nicht aber den Brief.
»Ich musste die Papiere in deiner Brieftasche durchsuchen, und dieser Brief lag mit der Vorderseite nach oben«, sagte sie. »Nicht dass du denkst, ich schnüffle in deinen Sachen.« Sie wedelte wieder mit dem Brief. »Aber jetzt möchte ich doch gern eine Erklärung haben, was das zum Teufel ist, Erik.«
Winter spürte, wie Wasser aus seinem Haar tropfte. Oder war es kalter Schweiß? Und doch war es nichts. Der Brief bedeutete nichts. Es gab nichts zu erklären.
»Das ist nichts.« Er machte einen Schritt auf sie zu. Der Fußboden wurde nass.
»Leider hab ich ihn gelesen. Es waren nicht viele Zeilen. Aber die haben gereicht.«
»Es ist absolut nichts passiert«, sagte er.
»Sie scheint einen anderen Eindruck von der Wirklichkeit zu haben.« Angela schaute auf den Brief. »Alicia. Das ist genauso gut zu entziffern wie alles andere. Sie schreibt deutlich und in Schönschrift. Hast du auch ein Foto von ihr? Aber das hängt vielleicht bei dir im Büro an der Wand?«
Winter ging zu Angela und versuchte, sie zu berühren. Sie schlug seine Hand beiseite.
»Ich schwöre, Angela, es ist nichts passiert.«
»Halt den Mund!« Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. »Hier haben wir eine Zeugin, die tatsächlich einiges miterlebt zu haben scheint.« Sie begann zu weinen, leise, mit einem kleinen ausdauernden Laut, den er noch nie gehört hatte. »Wie konntest du nur, Erik? Wie konntest du!«
Er setzte sich aufs Sofa neben sie und hatte ein Gefühl, als ob sich all sein Blut in seinem Kopf gesammelt hätte. Zur Hölle. Er hätte es ihr sofort erzählen sollen, aber es gab nichts zu erzählen. Warum etwas sagen, das nur schaden kann, wenn es in der Tat nichts zu erzählen gibt? Das ist doch sinnlos. Destruktiv.
Er wollte etwas sagen, aber sie stand auf und ging in den Flur.
»Wohin willst du?«
»Raus.«
»Aber ich muss doch... wir müssen doch... «
Sie drehte sich um und schleuderte ihm den Brief zu. Er flog ein paar Meter wie eine Schwalbe durch die Luft und landete auf dem geschliffenen Holzboden. Winter sah, wie er an einer Ecke vom Wasser durchweicht wurde, das von ihm abgetropft war. Sie blieb stehen.
»Ich hab nichts gesagt, weil es nichts zu sagen gab.« Er hielt seine Hände hoch, damit sie sah, wie rein und unschuldig sie waren.
»Du hast ein sauberes Gewissen?« Das klang fast wie ein Lachen. »Glaubst du, ich bin ein Idiot?« Sie sah auf den Brief herunter, der jetzt richtig aufgeweicht war.
»Nein.«
33
Bergenhem hatte Kopfschmerzen, als er aufwachte. Schon im Schlaf schien er es gewusst zu haben, hatte sich darauf vorbereitet.
Er hörte ein Rufen vom Fußende und sah, wie Ada sich abmühte, auf das Doppelbett zu klettern. Er hörte Martina in der Küche wirtschaften und den Schrei eines einsamen Seevogels, der vor dem Fenster vorbeiflog.
Martina sah es ihm an, als sie ins Schlafzimmer kam. Sie gab Ada einen kleinen Schubs, und das Kind rollte in einem halben Purzelbaum aufs Bett und quietschte begeistert.
»Ist es wieder dasselbe?«, fragte Martina. »Ja.«
»Du musst zu einem Arzt.« Sie streckte eine Hand aus, als Ada kurz davor war, aus dem Bett zu kippen. »Du hast versprochen, dass du gehst, wenn es nicht aufhört.« Sie setzte Ada mitten ins Bett, und Bergenhem richtete sich auf, nahm die Hände des Kindes und hob es hoch. Es war, als hebe er ein Kissen an. »Und es hat nicht aufgehört.«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Ist es immer noch hinter dem Auge?« Sie streckte eine Hand aus und berührte ihn. »Hinter dem linken Auge?«
»Hör auf«, sagte er und wischte ihre Hand weg, vielleicht ein bisschen zu schroff. Er sah sie an, nahm ihre Hand. »Entschuldige. Aber... dieser verdammte Mist irritiert mich so.«
»Du bist schon lange irritiert.«
»Ich weiß, ich weiss.«
»Ist da noch was anderes?«
»Was?«
»Ist irgendwas... mit uns«, sagte sie, und er merkte, dass
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