Das vertauschte Gesicht
ging zum Fenster, um die Jalousien zu verstellen. Ihm hatte die Sonne in die Augen geschienen und ihn geblendet. Das Gespräch quälte ihn. Laredas nüchterne Stimme verstärkte das Gefühl, dass sie jetzt in einem Abgrund versanken. So war es. Abgründe des Menschen, Erinnerungen und Erlebnisse von Einsamkeit, Ausgeschlossensein und Kontaktlosigkeit.
Er drehte sich am Fenster um. Laredas Brillengläser wirkten schwarz im Schatten des Raumes. »Was mögen das für Erlebnisse gewesen sein? Kannst du das erraten?«
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort, nahm die Brille ab und blinzelte in Winters Richtung, der am Fenster stehen geblieben war.
»Bei irgendeiner Gelegenheit ist er entsetzlich gekränkt worden. Vielleicht wiederholte Male, vielleicht nicht.«
»Gekränkt? Entsetzlich gekränkt? Wie denn?«
»Ich glaube, das hat etwas mit der Frau zu tun. Mit Frauen.« Sie hielt wieder eins der Fotos hoch, Winter stellte sich neben sie.
»Die verschiedenen Verletzungen an ihren Körpern können kein Zufall sein. Beide sind gefoltert worden, aber auf unterschiedliche Weise.«
»Dessen sind wir uns bewusst.«
»Ich habe die Arztberichte gelesen und daraufhin die Bilder studiert. Der Mann hier ist... >nur< getötet worden, aber mit der Frau war das anders. Sie ist mehr als... getötet worden. Sie ist mehr als... tot.« Lareda Veitz strich mit dem Finger über den nackten Frauenkörper. »Hier... und hier. Hier. Hier. Hier. Alle Verletzungen waren nicht direkt tödlich.« Sie sah Winter an. »Bei dem Mann war das anders.«
»Ich weiß. Aber ich weiß nicht, weshalb.«
»Er ist von Frauen heftig gekränkt worden. Vielleicht von einer, vielleicht von mehreren. Vielleicht von dieser Frau. Vielleicht von einer anderen. Sie könnte eine... Stellvertreterin sein.«
»Stellvertreterin? Sie kann irgendwer sein, Hauptsache, sie ist eine Frau?«
»So könnte es sein. Erwarte nicht von mir, dass ich noch mehr sage.«
»Und wenn ich es erwarte?« Winter war neben ihr stehen geblieben, sie setzte sich die Brille wieder auf und sah zu ihm hoch. »Kannst du dich nicht setzen? Ich krieg Nackenschmerzen, wenn ich immer so zu dir hochsehen muss.«
Winter setzte sich.
»Also gut, ich glaube nicht, dass diese Frau... Louise... diejenige aus seinen... Visionen, Träumen ist. Aber sicher kann man das nicht sagen.«
»Nein, das versteh ich. Aber er ist also nur gekränkt worden. Hat das mit der Sexualität zu tun? Glaubst du, dass es eine sexuelle Kränkung war?«
»Schon möglich«, antwortete Lareda Veitz. »Die Kränkung kann mit einer sexuellen Handlung zusammenhängen, oder mit einer sexuellen Vorstellung. Er könnte in so einem Zusammenhang lächerlich gemacht worden sein. Es könnte in genau so einer Situation passiert sein. Dafür gibt es in der Gerichtspsychologie viele Beispiele.«
»Lächerlich gemacht?« Ich wiederhole alles, was sie sagt, dachte Winter.
»Irgendwie, ja. Eine eher riskante Auslegung wäre, dass er tatsächlich geistig kastriert worden ist. Von einer Frau. Und dass es vor einem anderen geschehen ist. Einem Mann.«
»Kastriert?«
»Er hat sich kastriert gefühlt. Er konnte es nicht formulieren, als es passierte, aber jetzt ist es ihm aufgegangen. Es könnte im Beisein eines anderen Mannes geschehen sein. Aber die Frau ist die Schuldige. Sie hat ihn dem ausgesetzt.«
»Sie hat die Schuld, dass er geworden ist, wie er ist?«
»Ja. Sie trägt die Schuld, dass er gezwungen wurde, diese Tat... an ihr zu begehen. Und dann >sie< vielleicht in der Bedeutung der Stellvertreterin. Seine Fantasie ist schließlich so stark geworden, dass er es in der Realität ausführen musste. In der anderen Realität, der er immer noch zugehört. Der... richtigen.«
»Er kann also auch immer noch normal funktionieren?« »Ich glaube, ja.«
»Er kann irgendeiner von uns sein.«
»Im Prinzip«, sagte sie, und Winter dachte für einen Bruchteil von Sekunden an Angela. »Aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Es hängt davon ab, wie er mit der Fantasie umgeht, die er jetzt verwirklicht hat. Einmal.«
Sie verstummte, dachte nach, räusperte sich.
»Könntest du mir bitte ein wenig Wasser holen, Erik? Mir reicht Leitungswasser.«
Er stand auf und ging zu einem Schrank neben dem Waschbecken, in dem einige saubere Gläser gestapelt waren. Er füllte ein Glas und brachte es ihr.
Sie trank und fuhr fort: »Ich sehe hier auch eine Spur von Dominanz... wie eine Folge von dem, was passiert sein könnte.
Es liegt in dem
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