Das vertauschte Gesicht
seinen... Entlarver sucht.«
»Seinen Entlarver? Es gibt doch noch gar keinen. Hat er den schon definiert?«
»Seinen zukünftigen Entlarver. Er hat Botschaften hinterlassen, nicht wahr? Sie sind an jemanden gerichtet.« »An wen?«, fragte Winter, aber er kannte die Antwort.
»An dich, Erik.« Sie saß im Schatten, und ihre Brillengläser waren wieder schwarz. »Du bist der Jäger, der Fahnder. Der mögliche Entdecker.«
»Er will mich dominieren? Erik Winter?« »Du hast die Rolle des Jägers. Kriminalkommissar Erik Winter.«
»Das ist doch nicht persönlich gemeint, oder?«, sagte Winter, aber er lächelte nicht. Lareda Veitz lächelte auch nicht. Er sah sie an. »Könnte es persönlich werden!«
»Wie meinst du das?«
»Dass er sich wirklich auf... mich einstellt? Meine Person, da ich ja der... Jäger bin?«
»Nein.«
»Bist du sicher?« »Nein.«
»Er besitzt etwas, das ich in diesem Fall... nicht besitze. Er hat das Wissen, warum es passiert ist. Und wer es getan hat. Das macht ihn überlegen, oder?«
»In gewisser Weise ja. Weiter.«
»Auf diese Weise hat er bereits Macht über mich.« Er stand wieder auf, dachte nach, machte zwei Schritte. »Gibt es noch mehr, Lareda? Ist das alles, oder gibt es noch mehr?«
Sie stand ebenfalls auf und ging zum Fenster und schaute mit verschränkten Armen hinaus. Dann drehte sie sich um.
»Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, in dieser Richtung weiter zu überlegen. Aber, okay... es könnte sein, dass du etwas hast , was er nicht hat. Um dich dominieren zu können, muss er daran seinen Anteil bekommen. Um Macht über dich zu spüren.«
»Und was habe ich?«
»Verglichen mit ihm? Alles. Du hast alles.« »Zum Beispiel was?«
»Ein richtiges Leben. Sein Leben ist zerstört, vielleicht schon sehr lange. Du hast ein Leben.«
Winter atmete hörbar aus. Es war immer noch sehr warm im Zimmer. Keine leeren Sprechblasen. Er wollte die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, nicht weiter verfolgen. Später, aber nicht jetzt.
Er ging zum Panasonic und stellte die Musik an. Lareda hatte sie sich zu Hause angehört, und ihr Mann war unterdessen ins Kino geflüchtet.
»Carreras ist mir lieber«, sagte sie, als der Song begann.
»Mir reicht, wenn die Grenze bei Clash ist«, sagte Winter.
»Kennst du Clash?«
»Da bin ich Experte.« Er machte eine Kopfbewegung zum Fußboden, wo der CD-Player stand. »Aber wie analysiert man das hier? Ist dir was eingefallen?«
»Nur Spekulationen... Okay. Ich will mich nicht zu sehr an der Intensität dieser... Musik aufhängen. Die könnte einen reinlegen, vielleicht in die falsche Richtung lenken.«
»Du meinst, das Tempo ist nicht wichtig?«
»Ja. Das könnte verführerisch sein. Mit diesem Hintergrund wirkt es so viel grausamer. Verstehst du? Wenn du an einen Mordplatz kommst und Carreras hörst, ist der Eindruck doch gleich anders.«
»Nein.« »Ach?«
»Liebe Lareda, wir wollen doch versuchen, professionell vorzugehen. Carreras, Sacrament, Mysto's Hot Lips, Tom Jones... die sind nicht so wichtig. Mich beeinflusst die Musik nicht, wenn ich dort stehe.«
»Du kannst sagen, was du willst, aber dir entgeht hier etwas Wesentliches. Ich meine, dass das Grausame noch von der Wahl der Musik verstärkt wird, und das muss euch doch beeinflussen, wenn ihr die Antwort sucht.«
»Wie beeinflusst uns das?«
»Lass mich eine Gegenfrage stellen. Siehst du einen besonderen Typ vor dir, wenn du dir jemanden vorstellst, der sich das hier anhört? Also aus freiem Willen zuhört?«
»Ich versuche, es zu vermeiden.«
»Danach hab ich nicht gefragt.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Winter.
»In der Musik ist etwas, das wirklich das hervorruft, was geschehen ist. Es ist latent vorhanden. Das ist keine Hintergrundmusik. Es ist keine Entspannungsmusik.«
»Und wer hört sich das an?«
»Es könnte jemand sein, der sich immer diese Art Musik angehört hat, aber das glaube ich nicht.«
»Und warum hat er sich jetzt dafür entschieden?«
»Das ist eine weitere gute Frage.«
»Ich glaube auch nicht, dass der Mörder ein typischer Metaltyp ist, mit langen Haaren und schwarzen Klamotten. Wir sind hier nicht hinter den Black-Metal-Freaks her.«
»Vielleicht hört er überhaupt keine Musik«, sagte Lareda Veitz.
»Daran hab ich auch schon gedacht.«
»Die Botschaft... wenn es denn eine Botschaft ist... steckt vielleicht im Text. Wir sollten uns direkt mit den Wörtern auseinander setzen. Als ich die Kassette von dir bekam, hast du
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