Das verwundete Land - Covenant 04
nicht nötig, das Eindringen von Fremden zu fürchten. Oder womöglich war diese anscheinmäßige Unbenutztheit eine Falle für Unbesonnene.
Memla ritt direkt in den Tunnel, der in den Innenhof mündete; Covenant jedoch rutschte von Dins Rücken, hangelte sich Hand um Hand am Fell des Tiers hinunter. Memla hielt das Vieh an, drehte sich verdutzt nach Covenant um. »Hier ist Schwelgenstein«, sagte sie. »Wünschst du's nicht zu betreten?«
»Eins nach dem anderen.« Covenants Schultern waren aus Mißbehagen verkrampft. »Schick den na-Mhoram raus. Ich möchte, daß er mir persönlich meine Sicherheit zusagt.«
»Er ist der na-Mhoram!« brauste Memla entrüstet auf. »Er geht oder kommt nicht nach den Launen anderer.«
»Wie schön für ihn.« Covenant bekämpfte seine Beunruhigung mit Spott. »Wenn ich das nächste Mal einen launigen Einfall habe, weiß ich Bescheid.« Memla öffnete den Mund zu einer Entgegnung, aber er kam ihr zuvor. »Ich bin schon zweimal eingelocht worden. Ein drittesmal wird mir so was nicht passieren. Ich gehe nicht hinein, bevor ich mit dem na-Mhoram gesprochen habe.« Eine plötzliche Eingebung bewog ihn dazu, noch etwas hinzuzufügen. »Richte ihm aus«, sagte er, »daß ich die Notwendigkeit der Freiheit so gut wie er verstehe. Durch Zwang kann er nicht bekommen, was er will. Er wird wohl oder übel verträglich sein müssen.«
Memla musterte ihn für einen Moment. »Wie du wünschst«, sagte sie dann gedämpft. Mit einem barschen Befehl brachte sie Din dazu, den Weg in den Tunnel fortzusetzen; Covenant blieb mit Hohl am Eingang zurück.
Covenant bekam seine Unruhe in den Griff und wartete. Zwischen den Berggipfeln ging die Sonne grünlich und lavendelfarben unter; Schwelgensteins Schatten fiel auf das monströse Gewucher des Urwalds wie eine Ägide der Finsternis. Während er den Turm in bezug auf irgendwelche feindselige Umtriebe unter Beobachtung hielt, bemerkte Covenant, daß auf den Zinnen keine Banner wehten. Es waren auch keine erforderlich; der glutrote Strahl von Sonnenübel-Energie kennzeichnete Schwelgenstein unmißverständlicher als den Sitz der Sonnengefolgschaft, als jede Fahne es gekonnt hätte.
»Ich will verdammt sein, wenn ich weiß, was du eigentlich hier willst«, schnauzte Covenant Hohl an, weil er sich wie üblich nicht in Geduld zu schicken vermochte. »Aber ich habe genug Probleme. Du mußt sehen, wie du allein zurechtkommst.« Hohl reagierte nicht. Er schien kein Gehör zu haben.
Dann sah Covenant im Tunnel Bewegung. Ein stämmiger Mann, der eine tiefschwarze Robe und eine rote Kasel trug, kam durch die Trümmer der Torflügel aus dem Eingang. Er hielt einen eisernen Stab in der Höhe seiner Körpergröße, an dessen oberem Ende sich ein offenes Dreieck befand. Die Kapuze seiner Robe hatte er nicht übergezogen; das runde Gesicht, der kahle Schädel und die bartlosen Wangen waren unbedeckt. Seine Miene war friedlich, bestimmt durch eine Haltung gewohnheitsmäßiger Schöngeistigkeit oder Langeweile, als wüßte er aus Erfahrung, daß nichts im Leben noch seine innere Gelassenheit beeinträchtigen konnte. Nur seine Augen widersprachen der Abgestumpftheit seiner Miene. Sie waren von eindringlichem Rot. »Halbhand«, sagte er lasch. »Sei willkommen zu Schwelgenstein. Ich bin na-Mhoram Gibbon.«
Schon das bloße lahmarschige Gebaren des Mannes bereitete Covenant Unbehagen. »Memla hat mir gesagt, ich sei hier in Sicherheit«, meinte er. »Wie soll ich so was glauben können, nachdem ihr mich ständig umzubringen versucht habt, seit ich mich im Land aufhalte?«
»Du verkörperst für uns eine große Gefahr, Halbhand.« Gibbon redete wie jemand, der halb schlief. »Allerdings bin ich zu der Auffassung gelangt, daß du zur gleichen Zeit eine große Verheißung bedeutest. Um dieser Verheißung willen gedenke ich das Wagnis deiner Bedrohlichkeit einzugehen. Das Land braucht jede Kraft, die ihm von Nutzen sein kann. Ich bin allein zu dir gekommen, so daß du die Wahrheit dessen erkennen magst, was ich dir sage. Du bist in unserer Mitte sicher, solange nicht deine eigenen Absichten deine Sicherheit gefährden.«
Covenant hätte diese Behauptung gern auf die Probe gestellt; doch er fühlte sich auf die Durchführung eines solchen Tests noch nicht ausreichend vorbereitet. Er entschied sich für ein anderes Herangehen. »Wo steckt Santonin?«
Gibbon zuckte nicht mit den Wimpern. »Na-Mhoram-In Memla hat mir von deinem Glauben berichtet, deine Gefährten seien in
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