Das verwundete Land - Covenant 04
und ausgedehnte Festungsstadt Schwelgenstein gehöhlt. Die gesamte Klippe, die sich Covenants Augen nun enthüllte, war bestückt mit Befestigungen und Verteidigungswerken, Reihe an Reihe mit Erkern und Balkonen versehen, besetzt mit Vorsprüngen, Brustwehren und Laibungen, angefangen in einer Höhe von hundert bis hundertfünfzig Metern oberhalb der Vorhügel bis hinauf zum Rande des Tafelbergs. Links von Covenants Standort ging Schwelgenstein allmählich ins naturbelassene Felsgestein über; rechts dagegen füllte es den ganzen Bergausläufer bis zur Spitze der Keilformation aus, an der ein Wehrturm die wuchtigen Tore der Festung schützte.
Der ungeheuer eindrucksvolle, ihm so vertraute Anblick der Festungsstadt erfüllte Covenants Herz mit wehmütigem Stolz auf jene Riesen, die sie erbaut hatten und die er sehr geschätzt hatte – und mit herber Trauer, denn die Riesen hatten eines Tages allesamt den Tod gefunden, waren während des Kriegs gegen Lord Foul und seinen Weltübel-Stein von einem Wütrich dahingemetzelt worden. Covenant war einmal zu Ohren gekommen, den Mauern Schwelgensteins sei eine Art Bedeutungsmuster eingemeißelt worden, Ausdruck irgendeines Sinns, der zu hoch war, als daß andere als die Gehirne von Riesen ihn zu begreifen vermöchten; und nun würde ihm niemals jemand diesen Sinn erklären.
Aber das war nicht alles, was ihm Anlaß zum Gram gab. Das Wiedersehen mit Schwelgenstein erinnerte ihn an andere Menschen, Freunde wie Feinde, an Menschen, denen er geschadet, die er verloren hatte: Trell, Atiarans Gemahl; Hile Troy, der seine Seele einem Forsthüter verkaufte, um sein Heer zu retten; Salzherz Schaumfolger; Elena; Hoch-Lord Mhoram. Dann wandelte sich Covenants Trauer in Zorn um, als er daran dachte, wie die Sonnengefolgschaft, die bereitwillig das Blut unschuldiger Bewohner des Landes vergoß, Mhorams Namen mißbrauchte. Sein Grimm wuchs, während er Schwelgenstein genauer betrachtete. Die Richtung von Memlas Pfad hatte auf einen Punkt inmitten der Festungsstadt gewiesen; und oberhalb dieses Punktes schoß ein dicker zinnoberroter Strahl aus dem Plateau und empor zur sinkenden Sonne. Er ließ sich mit dem energetischen Strahl vergleichen, den Sunders Orkrest erzeugen konnte; aber er war von atemberaubender Gewaltigkeit. Covenant starrte hinüber, außerstande, sich vorzustellen, wie viele Menschenleben erforderlich waren, um einen solchen Strahl, eine derartige Energie zu unterhalten. Ihn ereilte die durchdringende Ahnung, daß Schwelgenstein nie wieder wirklich rein werden konnte.
Da aber zog etwas im Westen seinen Blick an, ein Glitzern der Hoffnung. Dort lagen – auf halber Strecke zwischen Schwelgenstein und dem Westlandgebirge – die Schleierfälle, über die das überschüssige Wasser des Glimmermere-Sees die Klippen hinabstürzte, um unten den Weißen Fluß zu bilden. Und die Fälle führten unverändert Wasser; die Gischt der Wassermassen sprühte in den einsetzenden Sonnenuntergang empor und schillerte. Das Land hatte achtzehn Tage lang ohne eine Sonne des Regens auskommen müssen, und sechs davon waren Tage von Sonnen der Dürre gewesen; und doch waren die Quellen Glimmermeres nicht versiegt. Covenant verbiß sich in Wut und Hoffnung und machte sich auf das gefaßt, was vor ihm liegen mochte.
Memla ließ einen Seufzer des Bewältigthabens vernehmen und den Rukh sinken. Sie drehte mit einem halblauten Befehl Dins Schädel seitwärts und lenkte das Tier im Trab zu den Toren an der Südostseite des Wehrturms.
Der Turm war nicht ganz halb so hoch wie das Plateau, und sein oberer Teil erhob sich getrennt vom übrigen Bauwerk gen Himmel, mit ihm nur durch hölzerne Laufstege verbunden. Covenant entsann sich daran, daß innerhalb der granitenen Mauern, die den Sockel des Turms vom Innenbereich der Festungsstadt absonderten, ein offener Hof lag; und in jedem Hof gab es ein zweites Paar nachgerade megalithischer Torflügel wie jene unterm Turm, so daß Schwelgenstein für den einzigen Zugang eine doppelte Verteidigung besaß. Aber während sie auf den Turm zuritten, erkannte Covenant mit Schrecken, daß das äußere Tor nur noch aus Trümmern bestand. Irgendwann in fernerer Vergangenheit war Schwelgenstein auf das innere Tor angewiesen gewesen. Die Erker über dem zerstörten Tor, ebenso die Brustwehren und Vorsprünge machten einen unbemannten Eindruck; der gesamte Turm wirkte unbenutzt. Möglicherweise war er nicht mehr verteidigbar. Vielleicht hatte die Sonnengefolgschaft es
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