Das verwundete Land - Covenant 04
Sonnenübels Verfassung zu ersehen. Es mag sein, daß ich dir den Weg zur Meisterung des Rukh weisen kann.«
Einen Moment lang blickten die beiden einander in die Augen und erwogen, was sie sahen. Dann drehte sich Sunder wieder Covenant zu. Ein Ausdruck von Zerrissenheit kennzeichnete die Miene des Steinmeisters, spiegelte Furcht vor Versagen wider, instinktiven Widerwillen gegen alles, was mit der Sonnengefolgschaft zusammenhing. Aber er nahm den Rukh . Grimmig erklomm er den höchsten Felsklotz und setzte sich im weißlichen Glanz des Krill nieder. Hollian stellte sich auf einen niedrigeren Felsen, so daß sich ihr Gesicht in gleicher Höhe mit Sunders Kopf befand. Ernst sah sie zu, wie er den Orkrest in seinen Schoß legte, den Rukh befingerte, um den hohlen Stab zu öffnen.
Covenants Beine wankten, als könne er die Bürde dessen, wer und was er war, nicht länger tragen. Doch er stützte sich auf die Felsen, blieb nahebei aufrecht stehen, als wäre er Anspruchsberechtigter und Zeuge des Geschehens. Sunder goß die letzte Flüssigkeit aus dem Rukh in seine Hand. Hollian senkte ihre auf seine Handfläche, beließ sie für einen Moment darauf, teilte das Blut mit Sunder, als handle es sich um ein Ritual der Freundschaft. Dann schloß sie die vom Blut befleckten Finger um ihren Lianar und begann leise vor sich hinzusingen. Sunder rieb die Hände aneinander, tupfte sich vom Rot auf Stirn und Wangen, ergriff dann den Sonnenstein. Die strenge Betonung seiner Beschwörungsformeln bildete einen Gegensatz zu Hollians eher geträllertem Singsang. Gemeinsam verwoben die beiden das Schweigen ringsherum zu einem aus Blut und Feuer geschaffenen Flechtwerk der Sonnenübel-Macht. Gleich darauf schoß Sunders vertrauter zinnoberroter Strahl zur Sonne empor wie eine Kampfansage. Ein Knistern wie bei der verzögerten Entladung eines Blitzes kräuselte die Luft. Sunder hob den Rukh und hielt ihn so, daß der Strahl aus dem Sonnenstein am Eisen entlanggloste. Die Knöchel seiner Fäuste traten weiß hervor, überzogen seine Handrücken mit Strängen. Längs des Lianar züngelten zierliche Flämmchen auf, die beinahe Knospen glichen. Hollian schloß die Augen. Ihr Feuer nahm allmählich die Färbung des Brauns der Aura an, die die Sonne umschimmerte, begann seine Ausläufer zu verzweigen; einer davon verlief zu Sunders Händen, wand sich um seine Fäuste, klomm dann am Rukh und dem Sonnenstein-Strahl hinauf. Heftig blinzelte Sunder sich den Schweiß aus den Augen, starrte den Rukh an, als wäre der eiserne Stab eine Natter, die er weder festhalten noch loslassen konnte.
Beklemmung in Covenants Brust verwies ihn darauf, daß er zu atmen vergessen hatte. Als er einatmete, war ihm, als sauge er mit der Luft ein Schwindelgefühl ein. Nur seine gegen die Felsen gestemmten Arme verhinderten, daß er das Gleichgewicht verlor. Die Haruchai konnten Sunder und Hollian keine Aufmerksamkeit schenken. Cail war von neuem in Konvulsionen verfallen. Die anderen Haruchai hatten reichlich damit zu tun, ihn zu bändigen. Gedanken an Linden brachten Covenants Eingeweide zum Rumoren. Er verkniff die Lider, während er die Übelkeit niederrang.
Er blickte erst wieder auf, als der Singsang der Beschwörungen endete. Sunders Strahl und Hollians Flammen erloschen. Das Steinhausener Paar klammerte sich aneinander. Die Schultern des Steinmeisters bebten. Unversehens befand sich Covenant auf den Knien, ohne gemerkt zu haben, wie seine Beine nachgaben. »Wie sich zeigt, ist's nicht allzu schwer, ein Gefolgsmann zu sein.« Sunders Stimme klang dumpf, als er sprach, weil er sein Gesicht an Hollians Hals preßte. »Ich habe den Rukh gemeistert. Die Landläufer sind weit entfernt. Aber sie haben den Ruf gehört. Sie werden kommen.«
Schließlich ging Cails Anfall vorüber. Für eine Weile kam er zu Bewußtsein; doch er redete in der fremden Sprache der Haruchai , und Covenant verstand nicht, was er sagte.
Das erste der großen Tiere kehrte kurz vor der Mittagszeit zurück. Mittlerweile hatten Hunger und Durst Covenant in einen Zustand der Teilnahmslosigkeit versetzt; er vermochte nicht einmal seinen Blick hinlänglich zu klären, um erkennen zu können, welcher der Landläufer es war oder ob das Tier Proviant mittrug. Aber Brinn gab ihm Aufschluß. »Es ist Clangor, jener Landläufer, der Linden Avery angegriffen hat. Er hinkt. Seine Brust ist verbrannt. Doch die Glut kann ihm nichts anhaben.« Einen Moment lang schwieg der Haruchai . »Seine Last ist
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