Das verwundete Land - Covenant 04
konnte sich jedoch nicht vorstellen, jemals soviel Mut zu finden, wie er dafür benötigte.
Dennoch mußte er nun irgend etwas sagen. Sunder und Hollian entfernten sich bei Anbruch des Abends gemeinsam in die Dunkelheit, suchten in zweisamem Alleinsein Zuflucht. Covenant konnte die beiden gut verstehen. Nach all den Verlusten, die sie bereits hatten hinnehmen müssen, lag nun eine Welt vor ihnen, für die sie keine Voraussetzung mitbrachten – eine Welt ohne Sonnenübel, das Sonnenübel, das ihnen in bezug auf ihre Gefährten einen gewissen Wert gegeben hatte. Die Riesen dagegen saßen erwartungsvoll ums Lagerfeuer, um zu hören, wie Covenant sie von der Notwendigkeit und Richtigkeit ihres Beistands überzeugte. Um zu hören, was er zu sagen hatte. Aber die Worte, die er brauchte, waren noch nicht in ihm.
Schließlich brach die Erste das Schweigen. »Riesenfreund.« Sie benutzte den Titel, den sie ihm verliehen hatte, mit bemerkenswertem Sanftmut. »Du hast Riesen gekannt, Volksgenossen deines Freundes Salzherz Schaumfolger. Aufs stärkste verspüren wir den Wunsch, ihre Geschichte zu erfahren. Wir haben in dir ersehen, daß es keine frohe Geschichte ist. Doch es heißt bei den Riesen, daß Freude in den Ohren ist, die hören, nicht in dem Mund, der spricht. Wir werden verstehen, dir mit Freuden zu lauschen, auch wenn das Erzählen dir Pein bereiten wird.«
»Freude.« Covenants Stimme brach, kaum daß er den Mund geöffnet hatte, und er schluckte mühsam. Die Äußerungen der Ersten, so empfand er, nahmen ihm den letzten Rest seiner Standhaftigkeit. Er wußte, was die Riesen tun würden, nachdem sie seine Erzählung gehört hatten. »Nein. Noch nicht. Ich bin innerlich noch nicht bereit.«
»Diese Geschichte ist auch unter den alten Erzählern der Haruchai bekannt«, sagte Brinn, der in Covenants Rücken stand. Er trat näher ans Feuer, betrachtete den Ausdruck des Mißbehagens in Covenants Gesicht. »Ich kann sie an deiner Stelle erzählen, wenngleich man mich die Kunstfertigkeit des Erzählens nicht gelehrt hat.« Trotz seiner Leidenschaftslosigkeit offenbarte seine Miene, daß er ein Geschenk anbot, die Bereitschaft besaß, Covenant diese Bürde abzunehmen.
Aber Covenant kannte die Geschichte zu gut. Das Schicksal der Bluthüter und ihres Eids hing mit dem Verhängnis der Wasserkanter Riesen untrennbar zusammen. In seiner Haruchai -Aufrichtigkeit würde Brinn Bestandteile der Geschichte enthüllen, die Covenant nicht preiszugeben beabsichtigte. Brinn würde berichten, daß Korik und Lord Hyrim, Überlebende der zum Wohnsitz der Entwurzelten geschickten Gesandtschaft, Coercri genau zu dem Zeitpunkt erreichten, als ein Riesen-Wütrich sämtliche Riesen abgeschlachtet hatte. Zu guter Letzt waren drei Bluthüter mit dem Leben davongekommen, hatten den Riesen-Wütrich töten können und ein Bruchstück des Weltübel-Steins erbeutet. Aber der Stein hatte sie verderbt, zu Dienern Lord Fouls gemacht. Und diese unheilvolle Wandlung hatte die Bluthüter so entsetzt, daß sie ihren Eid brachen, die Lords im Stich ließen, während das Land in der ernstesten Gefahr schwebte. Bestimmt würde Brinn diese Vorgänge so schildern, als wäre sie bei seinem Volk keineswegs die Ursache großen Kummers, nicht der Grund, weshalb eine Gruppe von Haruchai nach der anderen sich ins Land begeben hatte, nur um der Schlächterei der Sonnengefolgschaft zum Opfer zu fallen. Und das könnte Covenant nicht ertragen. Immer hatten die Bluthüter sich an Maßstäben gemessen, die gewöhnliche Sterbliche nicht erfüllen konnten.
»Nein.« Covenant stöhnte beinahe. Er wandte sich an Brinn, gab ihm die einzige Antwort, die er darauf wußte. Du brauchst das nicht zu tun. Das alles ist vorbei. Es war nicht ihre Schuld. »Die Verderbnis hat viele Gesichter.« Er zitierte Bannor. »Das Angesicht der Schuld ist verführerischer als andere Gesichter, aber trotzdem ist es nur eine Maske des Verächters.« Weißt du überhaupt, daß Foul jene drei Bluthüter verstümmelt hat? Zu Halbhänden gemacht? »Ich werd's erzählen.« Das ist meine Sache. »Wenn ich bereit bin.« Wie in einer Anwandlung von Hellsichtigkeit sah er voraus, daß seinetwegen Haruchai in den Tod gehen mußten.
Für einen Augenblick musterte Brinn ihn. Dann zuckte der Haruchai andeutungsweise mit den Schultern und zog sich zurück an seinen Platz hinter Covenants Rücken. Nichts blieb noch zwischen Covenant und den eindringlichen Blicken der Riesen.
»Riesenfreund«, sagte die
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