Das verwunschene Tal
anderen. Auch er übersah die breite, harte Fläche, die nahe einer Felsnadel auf noch leichtere Weise aufwärts führte, gut abgeschirmt durch Bäume mit immergrünen Nadeln.
Der Falke flatterte den Hang aufwärts. Neben den Läufen des Einhorns machte der Wolf große Sätze. Die Gruppe verschwand mit einigen Sprüngen hinter den Bäumen und stürmte den Hang hinauf. Weder die Tiere noch die kleinen Wichte in den Baumkronen griffen an. Die Vögel, die den Kampf überstanden hatten, flatterten von allen Seiten auf und dem Reiter hinterher. Die Ratten verschwanden auf rätselhafte Weise, die Katzen kletterten den Hang hinauf, und die letzten Hunde rannten lautlos hinter Hester her.
*
Mythor blieb stehen und fluchte leise. Dann sagte er niedergeschlagen: »Hester war schneller. Er suchte und fand die Tiere vor mir. Und jetzt habe ich sie für alle Zeit verloren.«
Niemand wusste, wohin Hester reiten würde. Eines jedoch war sicher: Er würde nicht nach Nyrngor zurückkehren.
»Nach allem, was du gesagt hast über die Tiere, Mythor«, bemerkte Nottr voller Mitgefühl, das er nur schlecht auszudrücken in der Lage war, » sind sie dir sehr viel wert. Richtig?«
»Ja. Ich bin enttäuscht. Ein Außenseiter hat dem Sohn des Kometen den Bitterwolf, den Schneefalken und das schwarze Einhorn entrissen.«
»Gestohlen hat er sie!« grollte der loyale Sadagar.
Mythor widersprach: »Nein, das hat er nicht. Er war einfach schneller.«
Alle Tiere, die den furchtbaren Kampf überlebt hatten, waren verschwunden. Es flogen keine Steine mehr aus den Bäumen. Etwa zwei Dutzend blutüberströmte Körper von Caer- Angreifern lagen verkrümmt am Hang des Tales, umgeben von Tierkadavern. Von der Umgebungsmauer her erschollen Kommandos, dann drangen Wiehern und Hufschläge an die Ohren der drei Freunde.
»Die Caer fliehen«, stellte Sadagar erleichtert fest.
»Hätte ich mein Ohr noch«, ereiferte sich Nottr, »würde ich mehr hören.«
Mythor nickte schweigend und schob das Gläserne Schwert in den Gurt zurück. »Sehen wir nach, was Hester in der Kuppelruine für uns zurückgelassen hat.«
»Kalathee! Sie wird sich fürchten«, rief Nottr und rannte davon.
Binnen kurzer Zeit lag wieder die Ruhe des vergangenen Abends über dem verwunschenen Tal, jene mysteriöse Ruhe, in der noch andere Gefahren und Überraschungen verborgen sein mochten. Mythor und Steinmann Sadagar, tief in Gedanken versunken, folgten Nottr zum Eingang der zerstörten Kuppel.
*
Und abermals änderte sich die Szene.
Schon wenige Schritte jenseits des halb zerstörten Eingangs breitete sich strahlende Helligkeit aus. Oben mochte ein klarer, frostiger Tag herrschen, hier unten war es viel wärmer und überdies windstill. Dazu kamen die schwüle Ausstrahlung der Pilze und der Umstand, dass durch die geborstene Kuppel des Gebäudes inzwischen die Sonne des Vormittags einfiel. Sie enthüllte Hunderte von verschieden hohen, sehr schlanken Säulen, von denen die Reste der Kuppel gestützt wurden. Noch höhere Säulen ragten dort auf, wo es längst kein Gewölbe mehr gab. In der Mitte des Bauwerks lagen riesige Trümmer, zwischen denen sich mächtige Bäume und niedriges Strauchwerk, durchsetzt von den großen Pilzen, ausgebreitet hatten. Es war ein Ort der Trostlosigkeit. Aber unschwer war zu erkennen, dass es einst ein Bauwerk von beispielloser Kühnheit gewesen war, das Klarheit und Helligkeit ausgestrahlt hatte.
Mythor fand als erster Worte, um seine Eindrücke zu schildern. »Wenn wir eingedrungen wären«, sagte er nachdenklich und wandte sich nach links in eine Art Bogen gang hinein, »hätten sich uns zweifellos die Tiere entgegengestellt.«
»Da kannst du sicher sein!« stimmte Sadagar zu. »Suchst du etwas Bestimmtes?«
»Alles und nichts«, bemerkte Mythor. »Die Tiere allerdings suche ich nicht mehr.«
Er versuchte schweigend mit seiner Enttäuschung fertig zu werden. Auch im Inneren der Kuppelruine war es totenstill. Trotz der dicken Staubschicht und der angewehten Pflanzen klangen ihre Schritte wie hallende Echos. Sie kamen an eine Tür, die sich links von ihnen befand, gegenüber der ersten Reihe der Säulen. Das Holz zerfiel zu einem Haufen modernder Späne und Splitter, als Mythor den schweren Riegel berührte.
Eine große Kammer mit schräger Decke enthüllte sich ihnen. Kalathee stieß einen unterdrückten Schrei aus und klammerte sich an Nottrs Arm fest, als zum erstenmal seit unnennbar langer Zeit Licht in das Gelass fiel und seltsame
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