Das vierte Opfer - Roman
trat. »Dann spring rein, Mann!«
Sie brauchten nur ein paar Minuten, um festzustellen, daß Beate Moerks Auto ebenso wenige Spuren aufzuweisen hatte wie ihre Wohnung. Jedenfalls war jetzt klar, daß weder sie noch ihr mutmaßlicher Mörder so leichtsinnig gewesen war, irgendeinen wichtigen Bericht im Auto liegenzulassen.
Van Veeteren stieg seufzend wieder aus.
»Komm«, sagte er. »Wir gehen ihre Strecke noch einmal ab. Diesmal auch den Strand.«
Münster nickte.
»Und halte die Augen offen! Sie ist hier irgendwo gestern abend verschwunden, das steht fest. Und es gibt in diesem Fall nicht viel, das feststeht.«
»Stimmt«, sagte Münster, »da bin ich deiner Meinung.«
Van Veeteren suchte in seinen Taschen nach Zigaretten und fand zu seiner Freude Bausens Päckchen.
»Irgendwo«, sagte er und zeigte vage in die Richtung, »irgendwo da hat er gestern abend auf der Lauer gelegen. Hat dagehockt und gewartet, daß sie angelaufen kommt. Und dann ...«
»Und dann?« fragte Münster.
Van Veeteren zündete sich eine Zigarette an und betrachtete das abgebrannte Streichholz, bevor er es über die Schulter wegschnipste.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Verdammt noch mal. Aber eine Sache ist jedenfalls klar. Er hat sein Opfer diesmal nicht mit der Axt erschlagen ... jedenfalls nicht hier draußen. So viel Blut hätten wir gar nicht übersehen können ...«
»Klingt richtig tröstlich«, sagte Münster.
»Natürlich tut es das«, sagte der Hauptkommissar. »Wollen wir?«
36
»Wie läuft’s?« fragte Hiller.
Van Veeteren betrachtete das Telefon voller Abscheu.
»Gut«, sagte er.
»Gut?« wiederholte Hiller. »Du bist doch schon fast einen Monat da – es gibt Leute, die meinen, es wäre langsam an der Zeit, den Fall mal aufzuklären.«
»Diese Leute sind herzlich willkommen, uns dabei zu helfen«, erwiderte Van Veeteren.
»Du könntest ja zumindest eine Art Bericht schicken. Gewisse Leute wollen wissen, was ihr da unten eigentlich treibt...«
»Gewisse Leute können mich von mir aus am Arsch lecken.«
Hiller murmelte etwas Undefinierbares.
»Brauchst du Verstärkung?«
»Nein«, sagte Van Veeteren. »Aber Münster will sicher für ein paar Tage nach Hause fahren.«
»Warum denn?«
»Frau und Kinder. Schon mal was davon gehört?«
Hiller murmelte wieder etwas.
»Soll Reinhart mit ihm tauschen?«
»Warum nicht«, sagte Van Veeteren. »Ich werde mit Münster reden, aber wir warten damit bis Montag abend.«
»Montag? Warum bis Montag abend?«
»Lies die Zeitungen, dann wirst du es verstehen.«
»Was zum Teu ...?«
»Oder sieh fern. Der Fall wird dann in einem neuen Licht erscheinen, wie man so sagt.«
Einige merkwürdige Geräusche waren im Hörer zu vernehmen,
aber Van Veeteren konnte nicht ausmachen, ob das an der schlechten Verbindung lag oder ob es der Polizeipräsident war, der nach Luft schnappte.
»Soll das heißen, die polizeiliche Berichterstattung soll über die Massenmedien laufen? Das ist ja wohl das Unglaublichste ...«, konnte er noch formulieren, bevor Van Veeteren ihn unterbrach.
»Leider«, sagte er. »Ich muß jetzt los und einen widerlichen Banditen beschatten. Ich melde mich.«
Es knisterte wieder. Der Hauptkommissar legte den Hörer auf und zog den Stecker heraus.
Mit drei dunklen Bieren in einem Eimer mit kaltem Wasser auf dem Boden und einer Schale fetter Oliven in bequemer Reichweite kletterte er in die Badewanne und löschte das Licht.
Er schloß die Augen und legte den Kopf auf dem Badewannenrand zurecht. Streckte die Hand aus, fischte die geöffnete Flasche heraus und trank ein paar große Schlucke.
Ich steige hier nicht eher wieder raus, bevor ich den Fall gelöst habe, dachte er, sah aber schnell ein, daß es wohl besser war, seine Ansprüche etwas niedriger zu schrauben. Was würden wohl die anderen am Montag sagen, wenn sie neben einer verschwundenen Inspektorin auch noch einen ertrunkenen Kriminalhauptkommissar hätten, um den sie sich kümmern mußten?
Genug mit den selbst auferlegten Ansprüchen und dem Quatsch, beschloß er. Zurück zur Ausgangslage. Der Henker. Konzentration ist angesagt.
Es gab eine alte Regel, die immer wieder mal auftauchte und die er ganz bestimmt von Borkmann übernommen hatte, einem dieser wenigen Polizeibeamten, die er kannte, die ihm gleichzeitig Respekt und Bewunderung eingeflößt hatten. Vermutlich der einzige, wenn er es näher betrachtete ... was sicher auch etwas mit dem Zeitaspekt zu tun hatte. Borkmann war in
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