Das vierte Protokoll
ihnen hat die Sache in seiner offiziellen Aussage erwähnt. Wie Sie wissen, werden in den Aussagen die Fakten festgehalten; und die Polizisten hielten sich daran. Trotzdem scheint es die Mühe wert, der Sache nachzugehen.«
»Ich höre.«
»Sie sagten, als sie den Matrosen fanden, habe er, zusammengekrümmt wie ein Embryo, auf der Straße gelegen und den Jutesack mit beiden Händen an den Leib gepreßt. Craig sagte wörtlich, >wie ein Baby, das er beschützen wollte<.«
Preston begriff, was daran so auffallend war. Wenn ein Mensch fast zu Tode getreten wird, rollt er sich instinktiv zu einer Kugel zusammen, aber er benutzt die Hände, um seinen Kopf zu schützen. Warum sollte jemand seinen ungeschützten Kopf den Tritten aussetzen, nur damit ein wertloser Sack nichts abbekommt?
»Dann«, fuhr Carmichael fort, »fielen mir Zeit und Ort des Überfalls auf. Im Hafen von Glasgow gehen die Seeleute zu Betty's oder in die Stable Bar. Dieser Mann war vier Meilen von den Docks entfernt und marschierte, lang nach der Sperrstunde, einen zweibahnigen Fahrdamm entlang, offenbar nirgendwohin, jedenfalls gibt es weit und breit keine Kneipe. Was zum Teufel hatte er dort um diese Nachtzeit zu suchen?«
»Gute Frage«, sagte Preston. »Was weiter?«
»Heute vormittag um zehn ging ich zur städtischen Leichenhalle. Der Körper des Toten war durch den Sturz übel zugerichtet, aber das Gesicht hatte, bis auf ein paar blaue Flecken, kaum gelitten. Die Neds hatten hauptsächlich den Hinterkopf und den Körper bearbeitet. Ich habe schon viele Gesichter von Matrosen gesehen. Sie waren von Wind und Wetter gegerbt, braun und ledrig. Dieser Mann hatte ein glattes blasses Gesicht, nicht das Gesicht eines Mannes, der sein Leben auf Deck verbringt.
Und dann die Hinde. Die Handrücken hätten gebräunt sein müssen, die Innenflächen schwielig. Aber sie waren weich und weiß, Bürohände. Und schließlich die Zähne. Ich würde meinen, bei einem Matrosen aus Leningrad wären bestenfalls die einfachsten Reparaturen zu finden: Amalgamfüllungen, und wenn Zahnersatz, dann aus Stahl, wie in Rußland üblich. Dieser Mann hatte Goldfüllungen und zwei Goldkronen.«
Preston nickte zustimmend. Carmichael war tüchtig. Sie fuhren jetzt auf den Parkplatz des Hotels, wo Carmichael für Preston ein Zimmer hatte reservieren lassen.
»Noch ein Letztes. Eine Kleinigkeit, aber sie könnte etwas zu bedeuten haben«, sagte Carmichael. »Vor der Autopsie suchte der sowjetische Konsul unseren Chief Superintendent in der Pitt Street auf. Ich war dabei. Der Konsul schien drauf und dran zu sein, Protest einzulegen; dann erschienen der Kapitän des Schiffes und sein Polit-Offizier. Der Offizier führte den Konsul hinaus auf den Korridor, und sie redeten leise miteinander. Als der Konsul wieder ins Büro kam, war er ganz Höflichkeit und Verständnis. Als habe ihm der Polit-Offizier irgend etwas über den Toten mitgeteilt. Ich hatte den Eindruck, sie wollten jeden Ärger vermeiden, bis sie mit ihrer Botschaft gesprochen hätten.«
»Haben Sie irgendwem in der uniformierten Abteilung gesagt, daß ich hier bin?« fragte Preston.
»Noch nicht«, erwiderte Carmichael. »Soll ich?«
Preston schüttelte den Kopf.
»Warten Sie bis morgen früh. Dann werden wir entscheiden. Vielleicht hat das Ganze gar nichts zu bedeuten.«
»Brauchen Sie noch irgend etwas?«
»Kopien der verschiedenen Aussagen, möglichst von allen. Und die Liste der Gegenstände, die der Mann bei sich hatte. Wo sind sie übrigens?«
»In Revier von Partick unter Verschluß. Ich besorge die Kopien und bringe sie später vorbei.«
General Karpow rief einen Freund beim GRU an und band ihm eine Geschichte auf, wonach ihm einer seiner Diplomatenkuriere mehrere Flaschen französischen Cognac aus Paris mitgebracht habe. Er selber rühre das Zeug nicht an, aber er schulde Pyotr Martschenko eine Gefälligkeit. Er wolle den Cognac am Wochenende in Martschenkos Datscha abliefern. Nur wisse er nicht, ob dort jemand im Haus sei. Ob der Genosse Martschenkos Telefonnummer in Peredelkino habe? Der GRU- Mann hatte sie. Er gab sie Karpow und vergaß das Ganze.
In den meisten Datschas der Sowjetelite bleibt den ganzen Winter über eine Haushälterin oder ein Diener im Haus, um die Heizung zu versorgen, damit der Besitzer am Wochenende nicht in eine Eishöhle kommt. Martschenkos Haushälterin war am Apparat. Ja, der General werde morgen, Freitag, hier erwartet; meist treffe er gegen achtzehn Uhr ein. Karpow
Weitere Kostenlose Bücher