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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Arbat-Bezirk eine feiste kleine Sekretärin hielt. Sie wußte es, weil Ehefrauen miteinander schwatzen, und in dieser so streng geschichteten Gesellschaft verkehrte Ludmilla nur mit Frauen, deren Ehemänner etwa den gleichen Dienstrang hatten wie der ihre. Sie wußte auch, daß er nicht wußte, daß sie es wußte.
    Sie war fünfzig und seit achtundzwanzig Jahren verheiratet. Es war eine gute Ehe, wenn man den Job des Mannes bedachte, und sie war eine gute Ehefrau. Wie die anderen Frauen, die EHD-Offiziere geheiratet hatten, konnte sie längst nicht mehr sagen, wie oft sie bis in die Nacht hinein aufgeblieben war und auf ihn gewartet hatte, während er im Chiffrierraum einer Botschaft im Ausland steckte. Sie hatte die grenzenlose Langeweile unzähliger diplomatischer Cocktailparties durchgestanden, ohne eine Fremdsprache zu beherrschen, während ihr Mann die Runde machte, elegant, liebenswürdig, perfekt im Englischen, Französischen und Deutschen, und im Schutz der Botschaftslegende seine Arbeit tat.
    Sie konnte nicht mehr sagen, wie viele Wochen sie allein zugebracht hatte, als die Kinder klein waren und er noch einen niedrigen Rang bekleidete, als sie, ohne Haushaltshilfe, in einer winzigen vollgestopften Wohnung lebte und er sich auf Dienstreisen befand, ZBV unterwegs war oder im Dunkeln nahe der Berliner Mauer auf einen Kurier wartete, der zurück in den Osten kommen sollte.
    Sie hatte die Panik und namenlose Furcht kennengelernt, die auch den Unschuldigsten erfaßt, als während einer Stationierung im Ausland einer der Genossen ins westliche Lager übergelaufen war und die Leute von KR, der Spionageabwehr, sie stundenlang ausgequetscht hatten über alles, was sie über den Mann oder seine Frau vielleicht hatte sagen hören. Sie hatte voll Mitleid beobachtet, wie die Ehefrau des Verräters, eine Frau, die sie gut gekannt hatte, jetzt aber nicht mehr gewagt hätte, auch nur mit der Feuerzange anzufassen, zu der wartenden
    Aeroflot-Maschine hinausgeführt wurde. Das gehöre zum Beruf, hatte ihr Mann gesagt, um sie zu trösten.
    Das lag Jahre zurück. Jetzt war ihr Zhenia General, die Wohnung in Moskau war luftig und groß, sie hatte die Datscha reizend eingerichtet, ganz nach seinem Geschmack, mit Fichtenholz und Teppichen, behaglich, aber rustikal. Die beiden Söhne machten ihnen Ehre, der eine studierte Medizin, der andere Physik. Es würde keine gräßlichen Botschaftswohnungen mehr geben, und in drei Jahren konnte Zhenia sich mit allen Ehren und einer guten Pension ins Privatleben zurückziehen. Und wenn er an einem Abend in der Woche dringend eines Unterrocks bedurfte, so unterschied er sich damit nicht von der Mehrzahl seiner Altersgenossen. Vielleicht war es so immer noch besser, als wenn er ein roher Trunkenbold gewesen wäre oder als ewiger Major seine Laufbahn bestenfalls in einer gottverlassenen asiatischen Republik hätte beenden müssen. Trotzdem seufzte sie innerlich.
    Das Polizeirevier von Partick ist nicht gerade ein Schmuckstück der schönen Stadt Glasgow. Die nach dem Überfall beziehungsweise Selbstmord in der vergangenen Nacht zurückgebliebenen Artikel hatten den üblichen Weg genommen. Der diensthabende Sergeant im Vorzimmer überließ seinen Platz einem Constable und führte Carmichael und Preston in den rückwärtigen Teil des Reviers, wo er einen kahlen, nur mit Ablageschränken versehenen Raum aufschloß. Ohne mit der Wimper zu zucken akzeptierte er Carmichaels Ausweis und die Erklärung, der Chief Superintendent und sein Kollege müßten die Artikel besichtigen, um ihre Berichte vervollständigen zu können, da der Tote ein ausländischer Matrose gewesen sei und so weiter. Der Sergeant wußte alles über Berichte; er hatte sein halbes Leben mit der Abfassung von Berichten verbracht. Aber er verließ den Raum nicht, während die beiden Männer die Beutel öffneten und deren Inhalt prüften.
    Preston begann mit den Stiefeln, suchte nach falschen Absätzen, abnehmbaren Sohlen oder hohlen Kappen. Nichts. Socken und Unterzeug waren schnell durchgesehen. Er nahm den hinteren Deckel der Armbanduhr ab, aber es war wirklich nur eine Armbanduhr. Die Hose dauerte länger; er befühlte alle Nähte und Säume, suchte nach frischen Fäden oder dickeren Stellen, die nicht durch eine doppelte Stofflage bedingt waren. Nichts.
    Der Rollkragenpullover, den der Mann getragen hatte, war kein Problem; keine Nähte, keine versteckten Papiere oder Stellen, die sich hart anfühlten. Mit dem Anorak hatte er

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