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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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erpressen. Das wird die Partei erfahren. Sie kennen ja die Regel:
    Nur die Partei kann die Partei disziplinieren. Wenn Sie auch General des KGB sind, so haben Sie doch Ihre Befugnisse meilenweit überschritten, General Karpow.«
    Jewgenij Karpow saß scheinbar gedemütigt da und starrte auf den Tisch, während der Professor fortfuhr.
    »Mein Sohn hat also in Kanada ein Mädchen vernascht. Dann hat sich herausgestellt, daß das Mädchen Amerikanerin war, wovon er sicher keine Ahnung hatte. Leichtsinnig vielleicht, aber mehr nicht. Ist er von diesem CIA-Mädchen angeworben worden?«
    »Nein«, gab Karpow zu.
    »Hat er Staatsgeheimnisse verraten?«
    »Nein.«
    »Dann steckt nichts dahinter als jugendlicher Leichtsinn. Er wird seinen Rüffel bekommen. Doch der Rüffel für Ihre Abwehrleute wird schärfer ausfallen. Sie hätten ihn warnen sollen. Was die Bettgeschichte anbelangt, so sind wir in der Sowjetunion nicht so prüde, wie Sie anzunehmen belieben. Kräftige junge Männer haben seit Anbeginn aller Zeiten Mädchen vernascht... «
    Karpow hatte seinen Diplomatenkoffer geöffnet und ein großes Foto herausgezogen, eines aus einem ganzen Stoß, und es auf den Tisch gelegt. Professor Krilow starrte darauf, und die Stimme versagte ihm. Die Farbe wich aus seinen Wangen, und sein ältliches Gesicht sah grau aus im Lampenlicht. Mehrmals schüttelte er den Kopf.
    »Tut mir leid«, sagte Karpow sehr sanft, »wirklich sehr leid. Die Überwachung galt dem Amerikaner, nicht Ihrem Sohn. Es war nicht beabsichtigt, daß es dazu kommen sollte.«
    »Ich glaube es einfach nicht«, krächzte der Professor.
    »Ich habe auch Söhne«, murmelte Karpow. »Ich glaube, ich kann verstehen oder versuchen zu verstehen, wie Ihnen zumute ist.«
    Der Professor holte tief Luft, stand auf, murmelte »entschuldigen Sie bitte« und schoß aus dem Zimmer. Karpow seufzte und steckte das Foto wieder in seinen Diplomatenkoffer. Er hörte Fetzen von Jazz, als sich am Ende des Korridors eine Tür öffnete, dann plötzlich Stille, als die Musik verstummte, und Stimmen, zwei Stimmen, die wütend aufeinander einschrieen. Der Baß des Vaters und der Diskant des Sohnes. Die Auseinandersetzung endete mit einem Klatschen wie von einem Schlag. Einige Sekunden später kam Professor Krilow ins Wohnzimmer zurück. Er nahm wieder Platz und saß da mit stumpfem Blick und hängenden Schultern.
    »Was werden Sie tun?« preßte er hervor. Karpow seufzte bekümmert.
    »Meine Pflicht ist völlig eindeutig. Wie Sie sagten, nur die Partei kann die Partei disziplinieren. Ich müßte von Rechts wegen den Bericht und die Fotos an das Zentralkomitee weiterleiten.
    Sie kennen das Gesetz. Sie wissen, was sie mit den >Bubis< anfangen. Fünf Jahre verschärftes Arbeitslager, ohne Straferlaß. Und wenn er erst einmal im Lager ist, dann wird sich sein >Vergehen< schnell herumsprechen, fürchte ich. Die Folge dürfte sein, daß er dann, wie soll ich sagen, jedermanns >Bubi< wird. Ein junger Mann aus behüteten Verhältnissen hat da kaum eine Chance zu überleben.«
    »Aber -«, drängte der Professor.
    »Aber... ich kann befinden, daß die CIA die Sache möglicherweise weiterverfolgen will. Dazu habe ich das Recht. Ich kann befinden, daß die Amerikaner in ihrer Ungeduld möglicherweise den Agenten in die Sowjetunion schicken werden, damit er den Kontakt mit Leonid wieder aufnimmt. Ich habe das Recht zu befinden, daß die Falle für Ihren Sohn in eine Falle für den CIA-Agenten verwandelt werden könnte. Während diese Operation läuft, könnte ich die Akte in meinem Privatsafe auf Eis legen, und diese Operation könnte sehr lange laufen. Dazu bin ich befugt; in operativen Angelegenheiten bin ich durchaus dazu befugt.«
    »Und der Preis?«
    »Das wissen Sie doch.«
    »Was wollen Sie über den Plan Aurora erfahren?«
    »Fangen Sie ganz einfach mit dem Anfang an.«
    Preston bog in die Haupteinfahrt von Aldermaston ein, fand eine Lücke auf dem Besucherparkplatz und stieg aus.
    »Endstation, Tommy. Du wartest hier auf mich. Es wird hoffentlich nicht lange dauern.«
    Er ging in der Dämmerung zu der Drehtür, schleuste sich in das Gebäude und wandte sich an die beiden Männer am Empfang. Sie prüften seinen Ausweis und riefen Dr. Wynne- Evans an, der bestätigte, daß er den Besucher erwarte. Preston fuhr hinauf in den dritten Stock, wurde ins Büro geführt und gebeten, auf einem Sessel vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.
    Der Wissenschaftler sah ihn über den Rand seiner Brille an.

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