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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Drüben blieb er wiederum stehen und spähte zurück, ob jemand hinter ihm hergesprintet war. Niemand. Winkler war nur Burkinshaws viertem Observanten recht nahe gekommen, der die ganze Zeit über auf der anderen Seite der Edgware Road gestanden hatte. Während Winkler in den Verkehrsstrom gespäht hatte, um zu sehen, wer Leben und Gesundheit riskieren würde, um ihn zu verfolgen, war der Observant direkt neben ihm gestanden und hatte scheinbar versucht, ein Taxi anzuhalten.
    »Der ist garantiert ein falscher Fuffziger«, meldete Burkinshaw an Cork. »Sucht nach einem Schatten, aber nicht sehr geschickt.«
    Burkinshaws Meldung erreichte Preston in seinem Versteck in Chelsea. Er atmete auf. Der Nebel lichtete sich.
    Nach seinem Zickzacklauf in der Edgware Road kehrte Winkler in die Pension zurück und verbrachte dort den Rest der Nacht.
    Inzwischen nahm im Souterrain von Sentinel House eine andere kleine Operation ihren wohldurchdachten Verlauf. Die Fotos, die auf dem Flughafen Heathrow von den SB-Leuten von Winkler gemacht worden waren, und weitere Aufnahmen auf der Straße in Bayswater waren jetzt entwickelt und ehrfürchtig der legendären Miß Blodwyn vorgelegt worden.
    Die Identifizierung ausländischer Agenten oder solcher Ausländer, die möglicherweise Agenten sein könnten, bildet einen wichtigen Teil jeder Geheimdienstarbeit. Alle Dienststellen tragen dazu bei, indem sie Hunderte, ja Tausende von Fotos der Leute schießen, die für ihre Gegner arbeiten könnten. Sogar Verbündete landen in diesen SchnappschußAlben. Ausländische Diplomaten, Mitglieder von Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturdelegationen - alle werden routinemäßig fotografiert, besonders, aber nicht ausschließlich, wenn sie aus kommunistischen oder kommunistenfreundlichen Ländern kommen.
    Die Archive wachsen und wachsen. Manchmal werden von derselben Person zwanzig Schnappschüsse zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten gemacht. Keiner wird je weggeworfen. Man braucht sie für eine spätere Identifizierung.
    Wenn ein Russe namens Iwanow als Begleiter einer sowjetischen Handelsdelegation in Kanada auftaucht, so wird sein Foto fast immer von der Royal Canadian Mounted Police an die Kollegen in Washington, London und in den übrigen NATO-Staaten weitergegeben. Es ist gut möglich, daß dieses selbe Gesicht fünf Jahre früher als das eines Journalisten namens Kozlow fotografiert wurde, der zu den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten einer afrikanischen Republik gereist war. Sollten über den wahren Beruf jenes Herrn Iwanow, der die Schönheiten Ottawas in vollen Zügen genießt, Unklarheiten bestehen, so wird Herrn Kozlows Porträt alle Zweifel zerstreuen. Dieser Mann ist hauptamtlicher KGB-Spion.
    Der Austausch solcher Fotos zwischen den Geheimdiensten der Alliierten, einschließlich der brillanten israelischen Mossad, ist permanent und umfassend. Nur sehr wenige Ostblockbürger, die in den Westen oder in die dritte Welt reisen, tauchen nicht in diesen Fotoalben in mindestens zwanzig demokratischen Hauptstädten auf. Und niemand, der in die Sowjetunion reist, endet nicht in der Schönheitsgalerie der Zentrale. Es klingt wie ein Witz, entspricht jedoch den Tatsachen: Während die »Vettern« von der CIA Datenbänke haben, in denen sie Abermillionen einzelner Gesichtszüge speichern, um den täglich eintreffenden Strom von Fotos zu meistern, hat England seine Blodwyn.
    Blodwyn, eine ältere und arg ausgenützte Dame, die ständig von ihren jüngeren männlichen Kollegen um eine rasche Auskunft bedrängt wird, ist seit vierzig Jahren auf ihrem Posten und arbeitet in den unterirdischen Gewölben von Sentinel House, wo sie das umfangreiche Bildarchiv leitet, das »Familienalbum« von MI6. Es st alles andere als ein Album, vielmehr eine riesige Höhle mit endlosen Regalen voller Fotobänden, über die sie allein ein wahrhaft enzyklopädisches Wissen besitzt.
    Blodwyns Gehirn ist der Datenbank der CIA ebenbürtig, manchmal sogar überlegen. Es speichert nicht etwa alle Einzelheiten über den Dreißigjährigen Krieg oder die Aktienindizes von Wall Street, sondern Gesichter. Nasenformen, Kinnlinien, Augenpartien; eine hängende Wange, der Schwung eines Lippenpaars, die Art, wie ein Glas oder eine Zigarette gehalten wird, das Aufblitzen eines Goldzahns, dessen lächelnder Besitzer in einer australischen Kneipe und Jahre später in einem Londoner Supermarkt geknipst wurde - das alles ist Wasser auf die Mühle dieses phänomenalen

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