Das vierte Protokoll
ein. Er mußte ein Zimmer bekommen haben, denn er kam nicht wieder heraus.
Eine Stunde nachdem Winklers Taxi von Heathrow abgefahren war, klingelte das Telefon in der Wohnung in Chelsea, wo Preston sich aufhielt. Sein Verbindungsmann in Sentinel House, der von Sir Nigel Anweisung hatte, mit Preston in Kontakt zu bleiben, meldete sich.
»Vor kurzem ist ein Joe in Heathrow gelandet«, sagte der Mann von MI6. »Kann eine Niete sein, aber seine Paßnummer hat kleine rote Lämpchen am Computer aktiviert. Name Franz Winkler, Österreicher, aus Wien eingeflogen.«
»Er ist doch hoffentlich nicht festgehalten worden?« sagte Preston. Er überlegte; Österreich ist angenehm nahe an der Tschechoslowakei und Ungarn. Als neutrales Land ist es außerdem eine gute Absprungstelle für Illegale aus dem Ostblock.
»Nein«, sagte der Mann in Sentinel House. »Laut unserer noch immer gültigen Anweisung sind sie ihm nachgefahren... Moment mal...« Ein paar Sekunden später war er wieder am Apparat. »Soeben haben sie ihn in einer kleinen Frühstückspension in Paddington abgeliefert.«
»Können Sie mich mit C verbinden?« fragte Preston.
Sir Nigel war in einer Besprechung, eilte jedoch sofort zurück in sein Büro.
»Ja, John?«
Preston setzte den Chef des SIS kurz über die wichtigsten Fakten ins Bild - sie hatten ihn bisher noch nicht erreicht.
»Glauben Sie, daß er der Mann ist, auf den Sie die ganze Zeit gewartet haben?«
»Er könnte ein Kurier sein«, sagte Preston. »Jedenfalls das Beste, was wir in den letzten sechs Wochen hereinbekommen haben.«
»Und was möchten Sie jetzt, John?«
»Ich möchte, daß Sechs die Observanten anfordert, damit sie die SB-Leute ablösen. Alle Berichte, die beim Observantenführer in Cork eingehen, sollen von einem Ihrer Leute sofort kontrolliert werden, ferner unverzüglich an Sentinel weitergegeben werden und von dort an mich. Wenn er sich mit jemandem trifft, sollen beide Männer observiert werden.«
»All right«, sagte Sir Nigel. »Ich veranlasse, daß die Observanten ihn übernehmen. Barry Banks wird im Funkraum von Cork sitzen und jede Entwicklung weitergeben.«
Der Chef rief persönlich den Direktor von Abteilung K an und gab seine Anweisung. Der Chef von »K« setzte sich mit seinem Kollegen von »A« in Verbindung, und ein Ablöseteam von Observanten machte sich auf den Weg nach Sussex Gardens in Paddington. Angeführt wurden sie auch diesmal wieder von Harry Burkinshaw.
Preston wanderte wie ein Tier im Käfig in der kleinen Wohnung auf und ab. Er wollte draußen sein auf den Straßen oder wenigstens im Mittelpunkt der Operation, nicht versteckt wie ein Geheimagent in seinem eigenen Land, Bauer in einem Machtspiel, das auf einer Ebene weit über ihm ausgetragen wurde.
Um sieben Uhr abends waren Harry Burkinshaws Leute an Ort und Stelle und hatten die SB-Männer abgelöst, die freudig nach Hause gingen. Es war ein schöner warmer Abend; die vier Observanten, die den »Rahmen« bildeten, postierten sich unauffällig rings um die Pension, einer ein Stück links vom Eingang, einer ein Stück weiter rechts, einer auf der anderen Straßenseite, der vierte an der Rückfront des Hauses. Die beiden Wagen stellten sich zwischen Dutzende anderer Autos, die entlang Sussex Gardens parkten, startbereit, falls Chummy ausrücken sollte. Alle sechs Observanten standen mittels Walkie-Talkies untereinander in Verbindung, Burkinshaw mit der Einsatzzentrale, dem Funkraum im Souterrain der Cork Street.
In der Cork Street saß Barry Banks, da dieser Einsatz von »Sechs« angefordert worden war, und alle warteten darauf, daß Winkler Kontakt aufnehme.
Nur leider tat er das nicht. Er tat überhaupt nichts. Er saß einfach in seinem Pensionszimmer hinter den Netzgardinen und rührte sich nicht. Um halb neun Uhr trat er aus der Tür, ging zu Fuß zu einem Restaurant an der Edgware Road, aß bescheiden zu Abend und kehrte in seine Pension zurück. Er hinterlegte nichts, holte keine Instruktionen ab, ließ nichts auf seinem Tisch liegen, sprach mit niemandem auf der Straße.
Aber zwei interessante Dinge hatte er doch getan. Auf dem Weg zum Restaurant war er jäh stehengeblieben, hatte sekundenlang in eine Spiegelglasscheibe gestarrt und kehrtgemacht.
Es ist einer der ältesten Tricks, um einen »Schatten« aufzuspüren, aber kein sehr guter Trick.
Als er das Restaurant verlassen hatte, blieb er am Bordstein stehen, wartete auf eine Lücke im Verkehrsstrom und sprintete über die Fahrbahn.
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