Das vierte Protokoll
sind manchmal gefährlich, wie der Traum des Generalsekretärs, der das Gesicht Europas zu seinem eigenen Denkmal umfunktionieren wollte. Ein hoher Beamter des Geheimdienstes muß nüchterner sein als der härteste Geschäftsmann. Man muß sich der Realität anpassen, John. Wenn die Träume das Kommando übernehmen, endet die Sache mit der Schweinebucht. Der erste Durchbruch in der Kubakrise war dem Residenten des KGB in New York zu verdanken. Nicht die Fachleute hatten damals das Sagen gehabt, sondern Chruschtschow.«
»Und wie soll es jetzt weitergehen, Sir?«
»Das überlassen wir den anderen. Es wird ein paar Veränderungen geben. Sie werden sie auf ihre eigene unnachahmliche Weise vornehmen. Der Mann, von dem wir kommen, wird sie in Gang bringen. Es wird seine Karriere fördern und manche andere beenden.«
»Und Philby?« fragte Preston.
»Was soll mit ihm sein?«
»Versucht er zurückzukommen?«
Sir Nigel zuckte unwillig die Achseln.
»Das tut er schon seit Jahren«, sagte er. »Und, ja, von Zeit zu Zeit steht er mit meinen Leuten in unserer Moskauer Botschaft in Verbindung, geheim natürlich. Wir züchten Tauben...«
»Tauben...?«
»Sehr altmodisch, ich weiß. Und einfach. Aber noch immer überraschend wirksam. Auf diese Weise schickt er seine Mitteilungen. Aber nicht über Plan Aurora. Und selbst wenn er es getan hätte... also, was mich betrifft...«
»Was Sie betrifft...?«
»Kann er in der Hölle verschimmeln«, sagte Sir Nigel sanft.
Wieder fuhren sie eine Weile schweigend dahin.
»Und was ist mit Ihnen, John? Werden Sie bei Fünf bleiben?«
»Ich glaube nicht, Sir. Nicht nach diesem Platzwechsel. Der GD scheidet mit dem 1. September aus, aber vorher nimmt er noch seinen Resturlaub. Unter seinem Nachfolger rechne ich mir keine Chancen aus.«
»Kann Sie nicht nach Sechs hinübernehmen. Das wissen Sie. Wir nehmen keine Späteinsteiger. Schon mal dran gedacht, wieder in einen Zivilberuf zurückzugehen?«
»Nicht leicht für einen Mann von sechsundvierzig und ohne nachweisliche Fähigkeiten, heutzutage einen Job zu finden«, sagte Preston.
»Ich habe da Bekannte«, sagte der Meister wie zu sich selber. »In zivilen Schutzdiensten. Könnte mal mit ihnen sprechen.«
»Zivile Schutzdienste?«
»Ölquellen, Minen, Depots, Rennpferde. Vermögenswerte, die die Leute vor Diebstahl oder Zerstörung schützen lassen wollen. Auch sich selber. Es wird gut bezahlt. Dann könnten Sie Ihren Sohn ganz zu sich nehmen.«
»Mir scheint, ich bin nicht der einzige, der's gründlich macht, Sir«, grinste Preston.
Der ältere Mann blickte aus dem Fenster, wie auf etwas weit Entferntes und längst Vergangenes.
»Hatte auch einmal einen Sohn«, sagte er ruhig. »Nur einen. Feiner Junge. Fiel im Falkland-Krieg. Weiß, wie Ihnen zumute ist.«
Preston warf einen erstaunten Blick in den Rückspiegel. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, daß dieser formgewandte und gewitzte alte Geheimdienstler einmal mit einem kleinen Jungen auf dem Teppich Hoppereiter gespielt hatte.
»Das tut mir leid. Kann sein, daß ich Sie in dieser Sache beim Wort nehme.«
Sie kamen am Flughafen an, gaben den gemieteten Wagen zurück und flogen wieder nach London, so anonym, wie sie gekommen waren.
Der Mann am Fenster des sicheren Hauses sah den abfahrenden Briten nach. Sein eigener Wagen würde erst in einer Stunde kommen. Dann wandte er sich um, setzte sich an den Schreibtisch und studierte aufs neue die Akte, die er in Empfang genommen hatte und noch immer in der Hand hielt. Sie gefiel ihm; es war ein gutes Gespräch gewesen, und die Dokumente in seinem Besitz würden seine Zukunft sichern.
Als Fachmann bedauerte Generalleutnant Karpow das Scheitern von Plan Aurora. Es war ein guter Plan gewesen; fein ausgetüftelt, unauffällig und wirksam. Aber als Fachmann war ihm auch klar, daß man eine »verbrannte« Operation nur noch abblasen konnte und die ganze Sache aufgeben mußte, ehe es zu spät war. Jedes Zögern hätte katastrophale Folgen gehabt.
Er entsann sich deutlich der Dokumente, die mit seiner Diplomatenpost von Jan Marais aus London gekommen waren, des Produkts seines Agenten Hampstead. Sechs davon waren wie immer erstklassiges Geheimmaterial, wie es nur einem Mann in der Stellung George Berensons zugänglich sein konnte. Beim siebenten Dokument hatte er gestutzt.
Es war ein persönliches Schreiben von Berenson an Marais zur Weitergabe nach Pretoria gewesen. Darin hatte der Beamte des Verteidigungsministeriums berichtet,
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