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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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der kolossalen und unbegrenzten Macht dieses Mannes. Bei der Ermittlungsarbeit der Ausschußmitglieder genügte die bloße Erwähnung seines Namens als der höchsten Autorität, daß ihnen alles in der UdSSR zugänglich gemacht und keine Fragen gestellt wurden. Philby, der das Phänomen der Macht und ihrer Anwendung gründlich studiert hatte, bewunderte die Rücksichtslosigkeit und Schläue, mit der sich der Generalsekretär die absolute Gewalt über jede Lebensfaser in der Sowjetunion gesichert hatte.
    Seinen einflußreichen Posten als KGB-Chef hatte er seinerzeit nicht Breschnews Stimme zu verdanken gehabt, sondern der des Königsmachers im Hintergrund, der grauen Eminenz im Politbüro, dem Parteiideologen Mikhail Suslow. Dank dieses Stückes Unabhängigkeit von Breschnew und seiner privaten Mafia hatte er sichergestellt, daß der KGB niemals zu Breschnews gehorsamem Pudel wurde. Im Mai 1982, als Suslow gestorben und Breschnew ein todgeweihter Mann war, hatte er den KGB verlassen und war ins Zentralkomitee zurückgekehrt, ohne dabei in den Fehler Breschnews zu verfallen.
    Er hatte im KGB General Fedortschuk als Vorsitzenden zurückgelassen, seinen getreuen Statthalter. Mit Hilfe der Partei hatte der jetzige Generalsekretär seine Stellung im Zentralkomitee unangreifbar gemacht, die kurzen Amtszeiten Andropows und Tschernenkos abgewartet und dann deren Nachfolge angetreten. Innerhalb weniger Monate hatte er alle Machtquellen unter seine Kontrolle gebracht: Partei, Streitkräfte, KGB und Innenministerium, das MWD. Er hatte sämtliche Trümpfe in der Hand, und niemand wagte, sich zu widersetzen oder eine Verschwörung gegen ihn anzuzetteln.
    »Wir haben einen Plan ausgearbeitet, Genosse Generalsekretär«, sagte Dr. Rogow - in Gegenwart Dritter bediente er sich stets der formellen Anrede.
    »Es handelt sich um einen konkreten Plan, eine aktive Maßnahme, das Vorhaben, bei der britischen Bevölkerung eine Destabilisierung auszulösen, gegen die das Attentat von Sarajewo und der Berliner Reichstagsbrand zu Bagatellen würden. Wir gaben dem Plan den Namen Aurora.«
    Eine Stunde verging, bis Dr. Rogow alle Einzelheiten vorgelesen hatte. Von Zeit zu Zeit blickte er auf, um die Wirkung seiner Ausführungen festzustellen, aber der Generalsekretär war Meister in einem weit größeren Schachspiel, und sein Gesicht blieb ausdruckslos. Endlich hatte Dr. Rogow zu Ende gelesen. Eine Weile warteten sie schweigend.
    »Nicht ohne Risiken«, sagte der Generalsekretär gelassen. »Was garantiert uns, daß kein Eigentor daraus wird, wie bei gewissen... anderen Operationen?«
    Er hatte das Wort nicht ausgesprochen, aber alle wußten, was er meinte. In seinem letzten Jahr beim KGB hatte das betrübliche Mißlingen des Wojtyla-Attentats ihn schwer erschüttert. Es hatte drei Jahre gedauert, bis die Schockwellen und Anschuldigungen verebbt waren, und die UdSSR hatte genau jene Art weltweiter Publizität genossen, an der ihr am wenigsten gelegen war.
    Im Vorfrühling 1981 hatte der bulgarische Geheimdienst gemeldet, seinen Leuten in der türkischen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sei ein seltsamer Fisch ins Netz gegangen.
    Aus ethnischen, kulturellen und historischen Gründen war Bulgarien, Rußlands getreuester und gehorsamster Satellit, eng mit der Türkei und den Türken verbunden. Der Mann, den sie aufgefischt hatten, war überzeugter Terrorist, von der extremen Linken im Libanon ausgebildet, hatte in der Türkei im Auftrag der Grauen Wölfe gemordet, war aus dem Gefängnis ausgebrochen und in die Bundesrepublik Deutschland geflohen.
    Das Absonderliche an ihm war, daß er aus persönlichen Gründen unbedingt den Papst töten wollte. Sollten sie Mehmed Ali Agca wieder ins Meer zurückwerfen oder ihn, mit Geld und falschen Papieren sowie einer Waffe versehen, laufenlassen?
    Unter normalen Umständen hätte die Antwort des KGB vorsichtshalber gelautet: Umlegen. Aber die Umstände waren nicht normal. Karol Wojtyla, der erste Pole auf dem päpstlichen Stuhl, stellte eine ernste Gefahr dar. Polen war in Aufruhr; das kommunistische Regime konnte jeden Augenblick von den rebellischen Anhängern von Solidarinosc gestürzt werden.
    Der Rebell Wojtyla hatte schon einmal Polen besucht, und das Ergebnis war, vom sowjetischen Standpunkt aus, verheerend gewesen. Man mußte ihn entweder bremsen oder seine Glaubwürdigkeit erschüttern. Der KGB antwortete den Bulgaren: Grünes Licht, aber wir wollen von nichts wissen. Im Mai 1981 wurde Agca

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