Das vierte Protokoll
hatte. Die Tatsache, daß Sir Nigel ihn mit seinem Familiennamen anredete, ließ eine höfliche, aber keineswegs gemütliche Unterredung erwarten. Es würde kein formloses »George« und »Nigel« geben.
»Ist Lady Fiona zu Hause?«
»Sie ist zu einer ihrer Ausschußversammlungen gegangen. Wir sind also ganz unter uns.«
Das war Sir Nigel bereits bekannt. Er hatte in seinem Wagen gesessen und gesehen, wie Berensons Frau das Haus verließ. Der Herr des Hauses half Sir Nigel aus dem Mantel und führte ihn dann zu einem Sessel im Salon, keine zehn Schritte von dem neu installierten Safe hinter dem Spiegel entfernt. Berenson setzte sich ihm gegenüber.
»Nun, was kann ich für Sie tun?«
Sir Nigel öffnete seine Aktenmappe, von der er sich nicht getrennt hatte, und legte sorgfältig einen Stoß Fotokopien auf die Glasplatte des Couchtisches.
»Sie sollten einmal einen Blick auf diese Papiere werfen.«
Berenson studierte schweigend das zuoberst liegende Blatt, nahm es auf und ging zum nächsten über, dann zum dritten. Nach der Lektüre des dritten Blattes legte er es, zusammen mit den beiden anderen, wieder zurück auf den Stoß. Er war sehr bleich geworden, hatte sich aber immer noch in der Gewalt. Seine Augen ruhten auf den Fotokopien.
»Ich kann dazu wohl kaum etwas sagen.«
»Nicht viel«, sagte Sir Nigel ruhig. »Die Dokumente wurden vor einiger Zeit an uns zurückgeschickt. Wir wissen, wie sie Ihnen abhanden gekommen sind - ziemliches Pech, von Ihrem Standpunkt aus gesehen. Nach der Rücksendung der Papiere haben wir Sie einige Wochen überwachen lassen, wir haben das Verschwinden des Ascension-Papiers, seinen Weg zu Benotti und von dort aus zu Marais verfolgt. Völlig lückenlose Geschichte.«
Von dem, was er sagte, war einiges Tatsache, das meiste jedoch reiner Bluff; er hatte keine Lust, Berenson wissen zu lassen, wie schwach die rechtlichen Handhaben gegen ihn waren. Der stellvertretende Leiter des Beschaffungsamtes straffte die Schultern und hob die Augen. Jetzt kommt die Trotzphase, dachte Irvine, der Versuch der Selbstrechtfertigung. Komisch, wie sie alle nach demselben Muster gestrickt sind. Berenson sah ihm in die Augen. Der Trotzreflex war da.
»Nun, wenn Sie schon alles wissen, was wollen Sie dann noch?«
»Ein paar Fragen stellen«, sagte Sir Nigel. »Zum Beispiel, wie lange geht das schon, und warum haben Sie es getan?«
Trotz all seiner Bemühungen um Selbstbeherrschung war Berenson doch so verwirrt, daß ihm ein ganz simpler Punkt entging: Es war nicht Aufgabe des Chefs des SIS, diese Art von Auseinandersetzung zu führen. Spione von Fremdmächten werden von der Abwehr verarztet. Doch der Wunsch, sich zu rechtfertigen, trübte sein Urteilsvermögen.
»Zur ersten Frage: Etwa zwei Jahre.«
Könnte schlimmer sein, dachte Sir Nigel. Er wußte, daß Marais seit fast drei Jahren in England war, doch Berenson hätte ja schon vorher von einem südafrikanischen, prosowjetischen Maulwurf geführt werden können. Anscheinend nicht.
»Zur zweiten Frage möchte ich meinen, daß sie sich von selbst beantwortet.«
»Ich bin vielleicht ein bißchen langsam von Begriff«, meinte Sir Nigel. »Klären Sie mich also auf. Warum?«
Berenson holte tief Atem. Vielleicht hatte er wie so viele vor ihm seine Verteidigung wieder und wieder im Kopf vorbereitet, hatte vor dem Gericht seines eigenen Gewissens oder dessen, was dafür stand, seine Argumente vorgebracht.
»Ich bin der Meinung, und das schon seit einer Reihe von Jahren, daß der einzige Kampf auf dieser Erde, der die Mühe wert ist, der Kampf gegen den Kommunismus und den Sowjetimperialismus ist«, begann er.
»In diesem Kampf bildet Südafrika eine der Bastionen. Wahrscheinlich die wichtigste, wenn nicht die einzige südlich der Sahara. Seit langem verüble ich es den Westmächten, daß sie aus dubiosen moralischen Gründen Südafrika wie einen Aussätzigen behandeln und es nicht an unserer gemeinsamen Planung teilnehmen lassen, die darauf abzielt, der sowjetischen Drohung weltweit entgegenzutreten.
Seit Jahren glaube ich, daß Südafrika von den Westmächten schäbig behandelt wird und daß es falsch und dumm ist, ihm den Zugang zu den NATO-Plänen für den Ernstfall zu verwehren.«
Sir Nigel nickte, als sei ihm dieser Gedanke noch nie gekommen.
»Und Sie hielten es für richtig und angebracht, diesem Übel abzuhelfen?«
»Ganz recht. Und ich bin trotz der Official Secrets Act immer noch dieser Meinung.«
Die Eitelkeit, dachte Sir Nigel,
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